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Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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wie sich herausstellte.
    Inzwischen rannte er beinahe, vorbei am zweiten Treppenabsatz und die breiteren Stufen hinab, die in die große Halle im Erdgeschoss führten.
    Was tue ich hier?
    Er wurde langsamer, und wie zur Antwort stockte ihm sogleich wieder der Atem in der Lunge, also rannte er weiter und betete, dass er in diesem Zustand niemandem begegnete.
    Sein Instinkt führte ihn durch einen Korridor und die Küche hinaus in den Viehhof. Der Mond stand tief am Himmel, die Schatten waren von undurchdringlicher Schwärze. Stimmengemurmel und schwacher Feuerschein gleich jenseits des Tores kennzeichneten die Stelle, an der sich die Wachen aufhielten. Ungesehen über die Mauer zu klettern war eine einfache Aufgabe für einen Mann, der einst bekannt war als…
    Haba
    … die Katze von Rhíminee.
    Das weiche Gras auf der Straße dämpfte den Aufprall seiner Stiefel, als er von der Mauer heruntersprang und in großen Sätzen davoneilte, während der Mantel locker um seinen nackten Oberkörper flatterte.
    Eine Weile reichte das Gefühl seines Herzschlags, des Atmens und seiner langen Beine, die ihn rasch davontrugen, sein Denken auszuschalten. Allmählich aber wurde er ruhiger, und die wilde Flucht wandelte sich zu einem meditativen Spaziergang.
    Das Durcheinander aus dem Jungen Hahn und seinem Kinderzimmer – auch eine Art der Heimkehr, so dachte er bei sich, während er anfing, im Geiste den Traum auseinander zu nehmen, der diese überstürzte nächtliche Wanderung ausgelöst hatte. Aber all dieser Wirrwarr: Glaskugeln, Feuer, Rauch, Ilar. So angestrengt er sich auch mühte, der Sinn des Ganzen wollte sich ihm einfach nicht erschließen.
    Andererseits erzählten die Bilder von einer Vergangenheit, die er betrauert hatte, und nun war er hier, allein unter dem Sternenhimmel, so wie er sich so oft während seiner einsamen Jahre in Skala im Traum gesehen hatte.
    Allein mit seinen Gedanken.
    Über sich selbst nachzudenken hatte noch nie zu seinen bevorzugten Beschäftigungen gezählt. Ganz im Gegenteil war er sogar überaus geschickt darin, derartigen Anwandlungen aus dem Weg zu gehen. »Nimm, was der Lichtträger dir schenkt, und sei dankbar.« Wie oft hatte er diese Worte zitiert, sein Glaubensbekenntnis, sein Katalysator, sein Bollwerk gegen innere Einsicht?
    Der Lichtträger schickte Träume – und Wahnsinn. Seine schmalen Lippen formten ein humorloses Hohnlächeln: Besser, ich verweile nicht zu lange dabei. Nichtsdestotrotz hatte der Traum ihn hinausgetrieben, und er war zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Sarikali allein. Eine Gänsehaut kroch über seinen Leib und er zog den Mantel zu, wobei er geistesabwesend feststellte, dass er um die Schultern ein bisschen zu groß für ihn war.
    Alec.
    Seregil war seit ihrer Ankunft ständig in seiner Gegenwart oder der irgendwelcher anderen Leute gewesen und hatte folglich während jeder wachen Minute zu tun gehabt – so viel Arbeit, so viel Mühe. So leicht, all die Gedanken auszuschließen, die in seinem Inneren brodelten, seit er einen Fuß auf den Boden Gedres gesetzt hatte – verdammt, sogar schon, seit Beka ihm von dieser Mission erzählt hatte.
    Exil.
    Verräter.
    Allein in der magischen Ruhe einer Nacht zu Sarikali versagte dieser Schutz.
    Mörder.
    Gästemörder.
    Mit halluzinatorischer Klarheit fühlte er die Härte des Dolches, um den sich die Finger seiner rechten Hand spannten, fühlte zum ersten Mal wieder den Widerstand, als die Klinge in den Leib des wütenden Haman eindrang …
    Du hast ihn gekannt. Er hatte einen Namen. Die Stimme seines Vaters, triefend vor Abscheu.
    Dhymir í Tilmani Nazien.
    Gästemörder.
    … in Dhymir í Tilmani Naziens Brust, vor so vielen Nächten, vielen Jahren und Toden. Das Gefühl war von einer obszönen Schlichtheit. Wie kam es nur, dass es weniger Mühe bereitete, weniger Kraft kostete, einem anderen Wesen das Leben zu entreißen, als seine Initialen in eine Tischplatte in irgendeiner Taverne zu ritzen?
    Und mit diesem Gedanken stellte sich auch die alte Frage, auf die es keine Antwort geben konnte: Was hatte ihn dazu getrieben, die Klinge gegen einen anderen Faie zu erheben, wenn er doch ebenso gut hätte davonlaufen können? Mit einem einzigen Streich hatte er ein Leben genommen und das seine für alle Zeiten aus der vorgesehenen Bahn geworfen. Nur ein einziger Streich.
    Beinahe neun Jahre waren vergangen, bis er wieder getötet hatte, dieses Mal, um sich und die mycenische Diebin zu schützen, die ihn in den schmutzigen

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