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Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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»Unser kleiner Bruder erkundigt sich nach Magie, und ihr spottet, Kinder Auras?« Kopfschüttelnd ergriff er einen Bogen, der gleich neben seinem Fuß gelegen hatte, und drückte ihn Alec in die Hände. »Sag mir, was du spürst.«
    Alec ließ seine Handfläche über den Bogen gleiten. »Holz, Sehne …«, setzte er an. Dann keuchte er, als der Rhui’auros mit einem Finger fest auf seine Stirn drückte.
    Ein Gefühl der Kühle glitt über die Haut zwischen seinen Augen, wie der Kuss des Windes im Gebirge. Als es sich weiter nach unten ausbreitete, schien der Bogen in seinen Händen kaum merklich zu vibrieren, ein Phänomen, das ihn an den Stab des Drysiers erinnerte, den er einst berührt und die Energien in ihm strömen gefühlt hatte.
    »Ich fühle … ich weiß es nicht. Es ist, als hielte ich etwas Lebendiges in den Händen.«
    »Das ist Shariel ä Malais Magie, was du fühlst, es ist ihr Khi«, erklärte der Rhui’auros, wobei er auf die Ptalos-Frau deutete, der der Bogen gehörte. Dann bedeutete er Kheeta, Alec das Messer aus seinem Gürtel zu geben.
    Als er es ergriff, empfand er bei der Berührung des Metalls ähnlich. »Ja, hier spüre ich es auch.«
    »Unser Khi erfüllt uns, wie Öl einen Docht tränkt«, erklärte der Rhui’auros. »Alles, was wir berühren, nimmt ein bisschen davon auf, und ihm verdanken wir alle unsere Gaben. Shariel ä Malai, nimm Alec í Amasas Bogen.«
    Sie gehorchte, und ihre Augen weiteten sich vor Überraschung, als der alte Mann ihre Stirn berührte. »Beim strahlenden Licht, das Khi in ihm ist so stark wie ein Sturmwind!«
    »Du bist ein guter Schütze, nicht wahr?«, fragte der Rhui’auros, während sein Blick über die Shatta-Sammlung an Alecs Köcher glitt.
    »Ja, Ehrwürdiger.«
    »Besser als die meisten anderen?«
    »Vielleicht. Es ist einfach etwas, das ich gut kann.«
    »Gut genug, einen Dyrmagnos niederzustrecken?«
    »Ja, aber …«
    »Er hat gegen einen Dyrmagnos gekämpft?«, flüsterte jemand.
    »Es war ein guter Schuss«, gab Alec zu, während er an die sonderbare, traumähnliche Ruhe zurückdachte, die von ihm Besitz ergriffen hatte, als er auf seinen verhassten Peiniger angelegt hatte. Der Bogen hatte irgendwie unheimlich in seinen Händen gezittert, als er die Sehne losgelassen hatte, aber er hatte dieses Gefühl, ja, sogar seinen Erfolg, immer den Bannen zugeschrieben, die Nysander um ihn errichtet hatte.
    »Kleiner Bruder, wann wirst du mich besuchen?«, fragte der Rhui’auros tadelnd. »Dein Freund Thero kommt nun oft zum Nha’mahat, doch auf dich muss ich noch immer warten.«
    »Es tut mir leid, Ehrwürdiger. Ich … ich wusste nicht, dass ich erwartet werde«, stammelte Alec vollkommen überrascht angesichts dieser Erkenntnis über Thero. Der Zauberer hatte nie etwas davon erzählt. »Ich wollte kommen, aber …«
    »Du musst Seregil í Korit auch mitbringen. Sag ihm, er soll heute Abend mit dir zu uns kommen.«
    »Der Verbannte trägt keinen Namen mehr«, erinnerte ihn ein Akhendi.
    »Tut er das nicht?«, fragte der Rhui’auros, während er sich zum Gehen wandte. »Wie nachlässig von mir. Komm heute Abend, Alec í Amasa. Es gibt so viel, was du mir erzählen musst.«
    Ich? Euch erzählen?, dachte Alec, doch ehe er dem Mann noch eine Frage stellen konnte, verschwamm der Rhui’auros vor seinen Augen, verschwand einfach wie ein Bildnis aus farbigem Sand in einer starken Böe.
    »Nun, zumindest könnt Ihr Euch jetzt nicht mehr beklagen, dass Ihr keine Magie erleben würdet«, kommentierte Artis. »Wie war das nun mit Euch und dem Dyrmagnos?«
    Alec war eigentlich mehr erpicht darauf, Seregil zu suchen, um ihm von der sonderbaren Aufforderung des Rhui’auros zu berichten, doch seine Zechkumpane wollten ihn nicht gehen lassen, ehe er ihnen nicht die Geschichte von seinem Kampf gegen Irtuk Beshar und Mardus erzählt hatte. Von einem plötzlichen Einfall beseelt, strich er Seregils Rolle in dem Kampf besonders heraus, in der Hoffnung, dass Geschichten über Heldentaten des ›Verbannten‹ Seregil vielleicht dabei helfen würden, seinen Platz unter seinen Leuten zurückzuerobern.
    Als er sich schließlich wieder seiner eigenen Rolle in der Geschichte widmete, gingen ihm erneut die Worte des Rhui’auros durch den Kopf, und er fragte sich, ob tatsächlich mehr als nur seine Erfahrung an jenem Tag seine Hand geführt hatte.
     
    Die Nachmittagssonne tauchte die Hälfte des Ratssaales in helles Licht, während es in der anderen Hälfte beinahe dunkel

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