Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
Vom Netzwerk:
diesen Tanz schon lebten, die Vereinigung ihrer Seelen den größten Teil ihres Lebens gefühlt hatten.
    Er fühlte, wie Seregils Hand sich über die seine legte. Ohne die geringste Verlegenheit drehte Alec seine Hand, führte seine Finger zwischen die seines Freundes und ließ den Tanz für sich sprechen.
    Doch als der Mond am Himmel höher stieg, störte der Gedanke an die Einladung des Rhui’auros zunehmend seine Konzentration.
    Seit Thero die Rhui’auros und ihre Fähigkeiten in Ardinlee zum ersten Mal erwähnt hatte, fragte er sich, was es für ihn bedeuten würde, wenn er dem kleinen Mosaik seines Lebens dieses fehlende Teil hinzufügen könnte. Während all der Zeit der Wanderschaft mit seinem Vater, in der er keine Verwandten und kein Zuhause gekannt hatte, hatte er doch das Schweigen seines Vaters nie in Frage gestellt. Erst, als er nach Watermead gekommen und im Schoße von Micums Familie aufgenommen worden war, hatte er erkannt, dass in seinem Leben etwas fehlte. Selbst sein offizieller Name zeigte das allzu deutlich: Alec í Amasa von Kerry. Dort, wo zusätzliche Querverweise sein sollten, die ihn mit seiner eigenen Geschichte hätten verbinden sollen, war nichts, gar nichts. Doch als er alt genug war, die richtigen Fragen zu stellen, war sein Vater längst tot, waren alle Antworten nurmehr Asche, ausgestreut und untergepflügt auf einem fremden Feld.
    Vielleicht würde er heute Nacht die Wahrheit über sich erfahren.
     
    Seregil und Alec begleiteten Klia nach Hause, ehe sie ihre Pferde wendeten und den Weg zum Nha’mahat einschlugen.
    In dieser Nacht war die verwunschene Stadt gänzlich verlassen, und Alec stellte fest, dass er nervös genug war, sich vor jedem Schatten zu erschrecken, überzeugt, er sähe Bewegungen in leeren Fensteröffnungen, hörte das Flüstern fremder Stimmen im seufzenden Hauch des Windes.
    »Was denkst du, was sie vorhaben?«, fragte er endlich, als er das Schweigen nicht länger ertragen konnte.
    »Ich wünschte, ich könnte es dir sagen, Talí«, antwortete Seregil. »Meine Erfahrung mit ihnen gehörte nicht zu der gewöhnlichen Art. Ich glaube, es ist ähnlich wie beim Tempel Illiors; die Leute kommen, um Visionen zu erleben, Träume – man sagt, die Rhui’auros wären gewissermaßen Fremdenführer.«
     
    Ich erinnere mich an dieses Haus, an diese Straße, dachte Seregil, verblüfft über die Macht des Gedächtnisses.
    Er hatte diesen Teil der Stadt seit ihrer Ankunft gemieden, aber als Kind war er oft hier gewesen. In jenen Tagen war das Nha’mahat für ihn ein unendlich geheimnisvoller Ort gewesen, den nur die Erwachsenen betreten durften, und die Rhui’auros Exzentriker, die stets für ein paar Süßigkeiten, Geschichten oder farbenfrohe Banne gut waren, wenn man sich nur lange genug zwischen den Säulen der Arkaden herumtrieb. Dieser Eindruck war gemeinsam mit seiner Kindheit verloren gegangen, als er den Turm schließlich doch betreten hatte.
    Die fragmentarischen Erinnerungen dessen, was dann geschehen war, verfolgten ihn seither in seinen Träumen, lauerten ihm auf wie hungrige Wölfe außerhalb des Lichtscheins des sicheren Lagerfeuers.
    Die schwarze Höhle.
    Die erstickende Hitze innerhalb der winzigen Dhima.
    Die tastende Magie zerrte an ihm, kehrte sein Innerstes nach außen, marterte ihn mit jedem Zweifel, jeder Eitelkeit, jedem banalen Makel seines halbwüchsigen Selbst, während die Rhui’auros die Wahrheit hinter dem Mord an dem unglückseligen Haman suchten.
    Alec ritt neben ihm, eingehüllt in die besondere Stille seiner hoffnungsvollen Erwartungen. Ein Teil von Seregil wünschte sich, ihn zu warnen, ihm zu sagen …
    Er umfasste die Zügel so krampfhaft, dass sich seine Fingerknöchel unter der Haut weiß abzeichneten. Nein, dachte er, niemals werde ich über diese Nacht sprechen, nicht einmal mit dir. Heute Nacht betrete ich den Turm als freier Mann und aus freiem Willen.
    Auf den Befehl eines Rhui’auros, konterte eine innere Stimme aus dem Durcheinander ausgemergelter Wölfe der Erinnerung.
    Als sie das Nha’mahat endlich erreicht hatten, stiegen sie ab und führten ihre Pferde zum Haupteingang. Eine Frau trat aus dem dunklen Torbogen heraus und nahm ihnen die Zügel ab.
    Alec schwieg noch immer. Keine Fragen, keine forschenden Blicke.
    Danke, mein Talí.
    Ein Rhui’auros reagierte auf ihr Klopfen. Die silberne Maske, die sein Gesicht bedeckte, erinnerte an jene, die im Tempel Illiors getragen wurden: glatt, erhaben und doch

Weitere Kostenlose Bücher