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Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond

Titel: Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Schweigen des alten Mannes, die Schatten, die sich in dem Rauch bildeten, miteinander verschmolzen und sich wieder auflösten, bevor er sie richtig erkennen konnte, der berauschende Geruch der Substanz, die in der Kohlenpfanne brannte. Von Schwindelgefühlen geplagt, kämpfte Alec gegen eine Woge der Benommenheit an.
    Und noch immer tanzte der Rhui’auros, durchquerte immer wieder sein Blickfeld, durchquerte die immer schwerere Rauchwolke, die sich hinter ihm stets noch mehr zu verdichten schien.
    Die Füße des Mannes faszinierten Alec. Er konnte den Blick nicht von ihnen wenden, wann immer sie an ihm vorbei raschelten: lange Zehen, braune Haut, verzweigte Linien blauer Venen unter der schwarzen Tätowierung.
    Der Rauch brannte in Alecs Augen, aber er musste feststellen, dass er nicht die Kraft hatte, die Hand zu heben, um sie sich zu reiben. Hinter sich hörte er den Rhui’auros, und doch waren die Füße immer noch vor ihm und füllten sein ganzes Blickfeld aus.
    Das sind nicht seine Füße, erkannte er in stiller Ehrfurcht. Dies waren die Füße einer Frau – klein und zart, frei von dem Schmutz, der die Fußnägel und die dunklen Risse in den hornhautüberzogenen Fersen des Mannes verunzierte. Diese Füße tanzten auch nicht, sie rannten.
    Dann sah er plötzlich auf sie herab, als wären es seine eigenen Füße, die unter dem Saum eines schmutzigen braunen Gewandes kurz vor Anbruch der Morgendämmerung über einen Pfad neben einer reifverkrusteten Weide hetzten.
    Ein Fehltritt auf einem spitzen Stein. Blut. Die Füße hörten nicht auf zu laufen.
    Zu Fliehen.
    Keine Geräusche, keine Gefühle, doch Alec wusste um die Verzweiflung, die sie vorantrieb, erkannte sie so deutlich, als wäre es seine eigene Empfindung.
    Die Weide wich in traumartiger Geschwindigkeit einem Wald, eine Landschaft ging einfach in die andere über. Er fühlte das Brennen ihrer Lungen, den krampfartigen Schmerz in ihrem Leib, von dem noch immer dunkles Blut strömte, und das Gewicht der Last, die sie auf ihren Armen trug, ein winziges Bündel, eingewickelt in einen langen, dunklen Sen’gai.
    Ein Kind.
    Das Blut, das bei der Geburt verströmt war, bedeckte noch immer das Gesicht des Kindes, dessen geöffnete Augen strahlend blau waren.
    Wie seine eigenen.
    Langsam wanderte sein Blickfeld aufwärts, und er sah durch ihre Augen eine einsame Gestalt in der Ferne, die vor dem ersten grauen Licht des neuen Tages auf einem Felsen stand.
    Die Verzweiflung des Mädchens wich einem Gefühl neu erwachter Hoffnung.
    Amasa!
    Alec hatte seinen Vater zuerst an der Art erkannt, wie er den Bogen über seinen Schultern trug. Nun fegte der Wind das wirre blonde Haar aus seinem kantigen, bärtigen Gesicht, in dem Alec so oft erfolglos versucht hatte, sich selbst wiederzuerkennen. Er war jung, nicht viel älter als Alec jetzt, und seine Miene schien von Verzweiflung zerfressen, als er das Mädchen sah.
    Immer näher ragte er vor Alec auf, bis er sein ganzes Blickfeld ausfüllte. Dann ein erdrückender Ruck, und Alec blickte herab auf das Gesicht einer jungen Frau, in dem er seine blauen Augen, seine vollen Lippen und die zarten Züge erkannte, umrahmt von zerzaustem, schrecklich kurzem braunen Haar.
    Ireya!
    Er wusste nicht, ob die Stimme ihm oder seinem Vater gehörte, aber er fühlte den Schmerz, der in diesem verzweifelten Schrei anklang. So hilflos wie einst sein Vater beobachtete er voller Schrecken, wie die Frau ihm das Baby in die Arme drückte und kehrtmachte, direkt auf die Reiter zurannte, die sie verfolgten.
    Dann sah Alec erneut auf die kleinen, zerschrammten Füße herab, während das Mädchen die Arme ausbreitete und weiter auf die Reiter zulief, als wollte sie die Pfeile einsammeln, die auf ihr Herz zielten, abgefeuert von den Bögen ihrer Brüder.
    Die Wucht des ersten Treffers riss Alec von den Füßen. Flach lag er auf dem Rücken, und glühender Schmerz raubte ihm den Atem. Er verging so schnell wie er gekommen war, und er fühlte, wie das Leben ihn gleich einer Rauchwolke durch die Wunde verließ, aufstieg in die Morgenluft, bis er die Reiter unter sich sehen konnte, die sich um den still am Boden liegenden Leib geschart hatten. Er konnte ihre Gesichter nicht sehen, nicht aus ihren Zügen lesen, ob sie zufrieden oder entsetzt über ihre eigene Tat waren. Er sah nur, dass sie den Mann, der mit seiner kleinen Bürde in der Ferne gen Westen floh, ignorierten.
    »Öffne die Augen, Sohn von Ireya ä Shaar.«
    Die Vision zersprang.
    Als Alec

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