Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
abgereist, um sie zu treffen«, erwiderte er, während er seine Aufmerksamkeit dem Hafen unterhalb des Balkons zuwandte. Im Stillen zählte er die fremden Schiffe, die dort vor Anker lagen – heute waren es trotz des Krieges über zwei Dutzend. Wie leer würde der Hafen ohne sie sein.
»Wenn die Bôkthersa und ihre Verbündeten ihren Willen bekommen, dann wird es auf Eurem herrlichen Marktplatz nicht mehr so viele nordische Händler geben«, fuhr der plenimaranische Gesandte fort, als hätte er die Gedanken seines Gesprächspartners gelesen.
Was er selbstverständlich nicht getan hatte; Magie hätte Ulan gespürt und mit eigener Magie beantwortet. Nein, die Macht dieses Mannes lag in seinem Scharfsinn und seiner Geduld, nicht in irgendeiner Form der Zauberei.
»Das ist wohl wahr, Lord Raghar«, antwortete er. Seine alten Knie schmerzten heftig an diesem Tag, doch solange er auf den Beinen blieb, konnte er auf den Plenimaraner herabsehen, und das war die Mühe wert. »Für meinen Clan und unsere Verbündeten wäre es ein schwerer Schlag, wenn die Handelsrouten geändert würden. Genauso, wie es ein schwerer Schlag für Euer Land sein könnte, sollte Aurënen beschließen, die Streitkräfte Skalas zu unterstützen.«
»Dann teilen wir zumindest die gleichen Sorgen, wenngleich nicht die Interessen.«
Ulan wusste wohl um die Wahrheit seiner Worte, und er war froh, dass er sein Gegenüber nicht unterschätzt hatte; als Khirnari der Virésse hatte er mit fünf Generationen Tírfaie aus den Drei Ländern und anderen jenseits ihrer Grenzen verhandelt, doch die Ashnazai waren eine der ältesten und einflussreichsten Familien in Plenimar.
»Trotzdem bin ich neugierig«, konterte er in neutralem Tonfall. »Es gibt Gerüchte, dass die Plenimaraner auf jegliche Unterstützung im Kampf gegen die Skalaner verzichten könnten – es soll irgendetwas mit Totenbeschwörungen zu tun haben, soweit ich informiert bin.«
»Ihr überrascht mich, Khirnari. Totenbeschwörungen sind schon vor Jahrhunderten gesetzlich geächtet worden.«
Wohlwollenden Blickes zuckte Ulan die Achseln. »Hier in Virésse sind wir einen eher pragmatischen Blick auf die Dinge des Lebens gewohnt. Magie ist Magie, oder nicht? Ich bin sicher, Euer Vetter, Vargûl Ashnazai, würde das ebenso sehen. Zumindest hätte er das, wenn er nicht bereits im Dienste Eures verstorbenen Halbbruders und Befehlshabers Lord Mardus gestorben wäre.«
Dieses Mal war Raghar tatsächlich verblüfft. »Ihr seid gut informiert, Khirnari.«
»Ich nehme an, Ihr werdet noch feststellen, dass dies für die meisten Clans des Ostens zutrifft.« Ulan lächelte, die silbergrauen Augen wie ein Adler zusammengezogen. »Euer Land verfügt über einen sehr langen Arm; wir sind klug genug, einen solchen Nachbarn nicht zu unterschätzen.«
»Und die Skalaner?«
»Als Verbündete stellen sie eine andere Form der Gefahr dar.«
»Die weit über die Bedrohung für das Handelsmonopol von Virésse hinausgeht, wie ich vermute. Ich vermute, es hat etwas mit den Blutsbanden zu tun, die die Bôkthersa mit dem skalanischen Thron verbinden.«
Ah, ja, wirklich scharfsinnig. »Ihr versteht Euch besser auf die Politik der Aurënfaie als viele andere, Raghar Ashnazai. Die meisten Fremden halten uns für ein einziges, einiges Land, das anstelle von einer Königin oder einem Hochkönig von dem Iia’sidra regiert wird.«
»Hochkönig Estmar ist sich der Tatsache bewusst, dass die Clans im Westen und im Osten meist unterschiedliche Interessen haben. Und dass Clans wie die Bôkthersa und Bry’kha von vielen als Unruhestifter angesehen werden, die nur allzu bereit sind, sich den Fremden zuzuwenden.«
»Das Gleiche wurde auch schon von den Virésse behauptet. Aber es gibt einen Unterschied. Die Bôkthersa mögen Fremde, wohingegen wir Virésse …« Er unterbrach sich und blickte den Plenimaraner zum ersten Mal direkt an, wobei er ihn während des Blickwechsels einen Hauch seiner Macht spüren ließ. »Wir Virésse betrachten Euch lediglich als – nützlich.«
»Dann sind wir einer Meinung, Khirnari.« Ashnazai lächelte kalt unter seinem Bart, als er ein versiegeltes Dokument aus seinem Ärmel hervorzog und auf den Tisch legte. »Meinen Quellen zufolge liegt Königin Idrilain im Sterben, wenngleich kaum jemand außerhalb des engsten Kreises ihrer Vertrauten davon weiß. Ich denke nicht, dass sie noch lange genug leben wird, Klia Gelegenheit zu geben, ihre Mission zu erfüllen.«
Ulan betrachtete die
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