Schattengilde 03 - Unter dem Verrätermond
Virésse oder ein Haman so etwas bewerkstelligen?«, fragte Thero Seregil.
»Ein Virésse vielleicht, ein Haman vermutlich nicht. Ihre Gaben sind anderer Natur. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns mit Nyal unterhalten. Ich werde Adzriel bitten, jemanden zu schicken, der ihn unauffällig in ihr Haus bringt, schließlich wollen wir keine Aufmerksamkeit erregen.«
Korathan warf ihm einen fragenden Blick zu. »Wer ist dieser Nyal?«
»Ein Vertrauter der Lady Amali, Mylord. Wir haben es hier mit einer überaus delikaten Angelegenheit zu tun, daher ist es angebracht, ihm das Gefühl zu geben, unter Freunden zu sein«, erklärte Seregil. »Adzriel, Alec und Thero werden Zeugen sein. Ich nehme an, auch Klia wird zustimmen, dass dies die beste Vorgehensweise ist. Mylady?«
Klia nickte schwach.
»Nun gut«, stimmte Korathan widerwillig zu.
»Es wird bestimmt nicht lange dauern«, versprach Seregil. »Sagt dem Iia’sidra, dass wir uns in zwei Stunden im Ratssaal einfinden werden.« Er unterbrach sich einen Augenblick. »Beka, willst du dabei sein?«
Sie zögerte. Sanfte Röte schlich sich unter ihre Sommersprossen. »Wenn Mylord gestatten.«
»Ersetzt Ihr mir Augen und Ohren, Rittmeisterin«, sagte Korathan. »Ich erwarte einen vollständigen Bericht.«
Als dies erledigt war, gingen Seregil und die übrigen hinaus in den Korridor, an dessen Ende sie bereits von Adzriel erwartet wurden.
»Ich werde Kheeta schicken, Nyal herzubringen«, sagte sie. »Um Bekas willen hoffe ich, dass er Euch nicht hintergangen hat.«
»Mir geht es ebenso. Dennoch nehme ich an, sie hat Recht mit ihrem Verdacht, dass er mehr weiß, als er zugeben will.«
Adzriel ging die Hintertreppe hinunter, und Seregil folgte ihr, nachdem er den anderen mit einer Geste bedeutet hatte, sie allein zu lassen. Auf einem Absatz kurz vor der Küche legte er eine Hand auf ihren Arm. Das warme Licht der Nachmittagssonne strömte durch eine offene Tür herein, überzog ihr dunkles Haar mit einem goldenen Schimmer und milderte die dunklen Ringe unter ihren Augen. Dennoch erschien sie ihm plötzlich älter, sorgenzerfressen und müde.
»Ich habe hier etwas für dich«, sagte er, wobei er ihr den Ring Corruths in die Hand drückte. »Er gehört hierher. Wer weiß, was der Iia’sidra beschließt …« Seine Stimme versagte. Zum ersten Mal war er gänzlich unfähig, die richtigen Worte zu finden.
Das Licht fing sich in dem großen roten Stein, und die Reflexionen, die über ihre Handfläche glitten, erinnerten an blutige Tränen.
Sie betrachtete den Ring, ehe sie sich vorbeugte und ihren Bruder küsste, erst auf die Stirn, dann auf den bandagierten Handrücken. »Ich bin stolz auf dich, mein Bruder. Welches Urteil der Iia’sidra auch fällen mag, du bist zurückgekehrt, und ich bin sehr stolz auf dich.« Erneut berührte sie sacht seine verletzte Hand. »Darf ich es mir ansehen?«
Auf den Wundmalen hatte sich eine Schorfschicht gebildet, und jedes einzelne war von einem dunklen Ring aus der blauen Farbe des Lissik umrandet.
»Sorge dafür, dass der Iia’sidra das Mal sieht«, riet sie ihm. »Zeige ihnen, dass die Drachen dich gezeichnet haben. Was auch immer die Khirnari sagen mögen, dieses Mal ihrer Gunst wirst du für immer tragen, hier …«, sie ließ seine Hand los und deutete auf sein Herz,»… und hier. Nun werde ich Nyal holen lassen. Kommt nach, wenn ihr so weit seid.«
Seregil küsste sie auf die Wange, ehe er wieder hinaufging, wo er die anderen an Klias Bett vorfand.
»Sie hat gesprochen!«, erzählte ihm Alec aufgeregt. »Sie will mit uns vor den Iia’sidra treten.«
»Ist sie stark genug?«, fragte Korathan mit einem zweifelnden Blick in Mydris Richtung.
»Wenn wir sie in Decken wickeln und darauf achten, dass sie ruhig liegt«, sagte Seregils Schwester. Dann sah sie Klia an und schüttelte den Kopf. »Ist diese Angelegenheit wirklich wichtig genug, das Risiko zu rechtfertigen, meine Liebe? Ihr seid nicht kräftig genug, eine Ansprache zu halten.«
»Müssen mich sehen«, flüsterte Klia. Tiefe Furchen auf ihrer Stirn zeugten von der Anstrengung, die die Worte erforderten.
»Sie hat Recht«, stimmte Seregil zu. Er lächelte die kranke Frau an. »Zeigen wir ihnen, in welch entsetzlicher Form die Gesetze der Gastfreundschaft gebrochen worden sind.« Dann beugte er sich herab, ergriff ihre gesunde Hand und fügte leise hinzu: »Wäret Ihr keine Prinzessin, hätte ich Euch längst wieder an die Arbeit gescheucht.«
Ihre Finger
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