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Schattengold

Schattengold

Titel: Schattengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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er entfernt an Charlie Chaplin. Dazu passten allerdings nicht die gut gefütterten Wangen, die, ebenso wie die auffälligen Augensäcke, den Gesetzen der Gravitation folgend nach unten strebten.
    Himmelaufwärts führten dagegen die buschigen Augenbrauen, unter denen die kleinen, aber intensiv leuchtenden Augen lagen. Sein Blick war das Jugendlichste an ihm. Wenn er mit jemandem sprach, funkelten die Pupillen, als wäre er ein Maler, der in seinem Modell ein Motiv für ein Meisterwerk suchte. Er neigte dazu, beim Sprechen schnell hintereinander zu blinzeln. Gewöhnlich heftete er seinen Blick so lange auf seinen Gesprächspartner, bis dieser verlegen zur Seite schaute. Manche hatten den Eindruck, der Inspektor könne bis tief in die Seele seines Gegenübers sehen.
    Sein Outfit spottete jeder Beschreibung. Der nunmehr auch noch mit Vogelschiet verunstaltete und verknitterte graue Mantel verhüllte sein Standardkostüm. Obwohl er ›in die Jahre gekommen war‹, trug er immer noch die Kleidung seiner Studentenzeit: ein Sweatshirt mit dem Aufdruck ›I have a dream‹, Bluejeans mit abgewetzten Knien und ungeputzte Turnschuhe.
    Auch hier schien das Vorbild Columbo durch. Kroll liebte es, von seinen Gegnern unterschätzt zu werden. Das gab ihm die Möglichkeit, im entscheidenden Augenblick um so nachhaltiger aufzutrumpfen.
    Kroll genoss seine kalte Zigarette, versuchte, die Atmosphäre des mutmaßlichen Tatortes in sich aufzunehmen und kam zu einem Entschluss.
    »Ein Küster müsste doch eigentlich auf diesem gefährlichen Dachboden jeden Schritt kennen. So leicht stürzt man nicht in die Tiefe. – Und allein die Tatsache, dass der Tote einen merkwürdigen Zettel in der Tasche hatte, sollte fürs Erste ausreichen, um den Fall weiter zu verfolgen. – Vorläufige Arbeitshypothese: Mord.«
    Missmutig stieg der Inspektor hinunter in das Kirchenschiff, bekreuzigte sich flüchtig vor der Mutter Maria und stiefelte die wenigen Schritte rüber zum Kanzleigebäude, wo sich vorübergehend sein Dienstzimmer befand. Eigentlich residierte die Regionale Kriminalbehörde in einem scheußlichen Behördenhochhaus außerhalb der Innenstadt. Wegen dringender Renovierungsarbeiten mussten Kroll und sein Team in das historische Nebengebäude des Rathauses umziehen, in dem bereits zu früheren Zeiten die Polizei ihren Sitz hatte.
    Der Inspektor liebte das spätgotische Backsteinhaus mit seinem alten Gerichtssaal und dem kleinen, ehemaligen Gefängnis, dem ›Bullenstall‹. Es bildete zusammen mit dem Rathaus und der Marienkirche einen eingeschworenen Dreierbund von Recht, Rat und Religion. Wie ein steinerner Sarg thronte es auf mächtigen Arkaden, als musste es vor dem Treiben des niedrigen Straßenvolkes geschützt werden.
    Und das konnte man wörtlich nehmen. Als die Polizei dort gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihren ständigen Sitz hatte, nannten die Lübecker das Kanzleigebäude scherzhaft den ›größten Automaten der Stadt‹: Hin und wieder kam es vor, dass Jugendliche mit Steinen oben die Fensterscheiben einwarfen und unten sofort ein Polizist herauskam.
    Durch die drei Fenster im nördlichen Renaissancegiebel hatte man einen herrlichen Ausblick auf den nördlichen Teil der Hauptgeschäftsstraße. Wenn ›Verbrecherkrolle‹ seinen Kopf aus dem mittleren Fenster lehnte, bildete seine Glatze für die Passanten einen reizvollen Kontrast zu der über ihm im Mauerwerk eingelassenen riesigen Uhr, die so aussah, als hätte sie früher ihren Dienst im städtischen Bahnhof versehen.
    Der Inspektor warf Hut und Mantel auf den Schreibtisch, öffnete das Fenster und schaute geistesabwesend dem Treiben unten auf der Straße zu. Er fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, dass der Tod den Küster nur wenige Meter Luftlinie von seinem Dienstzimmer entfernt ereilt hatte. Gewissermaßen auf dem Nachbardach, ohne dass er an seinem Schreibtisch sitzend etwas bemerkt hatte.
    Wieder strich er sich mit dem linken Daumen über die Stirn. Ihm kam eine Idee. Er rief seine beiden Mitarbeiter zu sich. Hopfinger, sein Adjutant, war ein junger, karrierebewusster Aufstreber, der sich zum Ziel gesetzt hatte, seinen Chef über kurz oder lang zu ersetzen. Er meinte, dann würde endlich ein Hirn und nicht mehr ein weiches Herz die Regionale Kriminalbehörde zu ungeahnten Erfolgen führen.
    In puncto Hirn überschätzte er sich maßlos. Er wusste sich modisch zu kleiden, verkehrte – selbstverständlich aus rein beruflichem Interesse – in der Lübecker

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