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Schattengold

Schattengold

Titel: Schattengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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das eine große Geschicklichkeit.
    Auch hier zog das Mädchen wieder an einer der Schnüre. Das Pferd konnte sogar den Schweif heben und Pferdeäpfel fallen lassen! Die kleinen braunen Holzkugeln polterten auf den Boden und rollten quer durch den Raum. Erschrocken drehte die Kleine sich um. Aber die Kassiererin war weit weg, wie in einer anderen Welt. In seinem ersten Schreck hatte das Mädchen vergessen, dass die Alte gehörlos war.
    Eine Kugel rollte direkt vor die hintere Wand. Als das Mädchen sie aufhob, bemerkte es im Halbdunkel, dass ein großer Kasten genau vor ihm hing. Bei näherem Hinsehen entpuppte er sich als eine detailgetreue Nachbildung der Astronomischen Uhr, die es mit seinen Eltern in der Marienkirche bewundert hatte.
    Endlich durfte das Kind sie berühren. Das kleine Schild ›Anfassen verboten‹ war in der Dunkelheit gar nicht zu lesen. Vorsichtig bewegte das Mädchen einen der Zeiger. Plötzlich schlug die Uhr zwölf und ein paar kleine Holzfiguren begannen zu tanzen. Erschrocken drehte sich die kleine Besucherin um, aber es war ja niemand anwesend.
    An der Mitte der Wand ruhte auf einem Podest ein merkwürdiges, schlittenähnliches Gebilde: Ein glitzerndes Rahmenwerk aus Metall, kaum größer als eine kleine Uhr, und sehr fein gearbeitet. Es war Elfenbein daran und eine durchsichtige, kristallinische Substanz.
    Hinten befand sich eine Kupferscheibe, die unzählige geheimnisvolle Muster zeigte. Davor saß eine fantastisch gekleidete Holzmarionette in einem mit rotem Plüsch bezogenen Sessel. Vor ihr leuchteten die bunten Lichter eines zylindrischen Steuerpults.
    Wären die Eltern dabei gewesen, hätten diese den Schlitten sofort wiedererkannt: Er war eine Replik der Zeitmaschine aus dem gleichnamigen Film, den der Vater so liebte. Die Tochter hatte ihn schon vieles darüber erzählen hören, und sie liebte es, im Geiste davon zu träumen, zusammen mit ihrer Hanna durch die Zeit zu reisen.
    Sie würde mit ihrer Handpuppe gern die Oma besuchen, die vor ein paar Jahren verstorben war, um mit ihr zusammen einen Becher Himbeersaft zu trinken. Oder in die Zukunft fliegen, wenn sie als umjubelte Königin der Nacht auf der Bühne des Stadttheaters stand. Ihre Eltern hatten sie schon einmal mit in die Oper genommen, und ihr gefiel die ›Zauberflöte‹ außerordentlich gut.
    Hanna wusste natürlich, dass dieser komische Schlitten eine Zeitmaschine war. Doch als stummes Wesen konnte sie ihrer Herrin das Wunderwerk nicht erklären. Diese zeigte sich weniger begeistert von den technischen Details als vielmehr von der darin hockenden Puppe. Sie stellte Aladin dar, die Hauptfigur aus den orientalischen ›Märchen aus tausendundeiner Nacht‹. Seinem bunten Turban fiel es schwer, das dichte, rabenschwarze Haar zu bändigen. Glasklare, blaue Augen schauten den Betrachter mit durchdringendem Blick an. Irgendjemand war auf die Idee verfallen, die Wunderlampe und den Fliegenden Teppich mit einer Zeitmaschine zu vertauschen.
    Das Mädchen drückte auf einen der Kontrollknöpfe. Plötzlich öffnete sich langsam eine kleine, aber schwere Eisentür, die hinter dem Podest versteckt war. Als würde sie von einer Geisterhand bewegt werden.
    Sicherheitshalber zog das Mädchen die Handpuppe Hanna aus der Tasche. Jetzt brauchte es jemanden, der ihm beistehen konnte. Die Eltern waren weit weg und wussten von nichts. Ein Raum voller merkwürdiger Gestelle, Räderwerke, Maschinen und Uhrengehäuse tat sich vor seinen Augen auf.
    Im hinteren Teil des Raumes saß auf einem Sessel eine elegant gekleidete Gestalt. Der Sitz hatte Ähnlichkeit mit dem Modell der Zeitmaschine, war jedoch viel größer und bestand im Wesentlichen aus einem komplizierten Stahlgerüst.
    Kein roter Plüsch. Dafür aber ein Gewirr von Kabeln, Messgeräten, Computerteilen und Leuchtbildschirmen, auf denen bizarre Schwingungen zuckten. Der Mann bewegte sich nicht, doch seine Augen leuchteten merkwürdig lebendig, als wollte er die Kleine hypnotisieren.
    Ist das auch eine Marionette?, fragte sich das Mädchen.
    Es roch bitter nach unbekannten Giften. Aus einer Tasse, die auf einem kleinen, exotisch geschnitzten Tisch neben der Tür stand, strömte ein kaum wahrnehmbarer, aber betörender Duft. Dann begann die Gestalt, mit einer angenehmen Stimme gleichmäßig und beruhigend auf das Kind einzureden.
    »Keine Angst, tritt ruhig näher! – Schau, was ich für dich habe.«
    Sie öffnete ihre Hände. Ein goldener Vogel breitete seine Schwingen aus und flog

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