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Schattengold

Schattengold

Titel: Schattengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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dabei.
    Mürrisch zeichnete er mit seinen Schuhen zwei kleine Kreise in den schmutzigfeuchten Sand. Ein breiter senkrechter und darunter ein schmaler waagerechter Strich ergänzten sich zu einem traurig dreinschauenden Mondgesicht.
    »So kommst du nicht weiter«, flüsterte ihm das Mondgesicht zu.
    Kroll holte sich eine seiner selbstgedrehten Zigaretten aus der Manteltasche. Sie hatte ein wenig gelitten und sah wie ein krummes Fragezeichen aus. Er bügelte sie sorgfältig mit den Handflächen gerade und steckte sie kalt in den Mund.
    Sein ohnehin nicht funktionierendes Feuerzeug aus der anderen Manteltasche herauszukramen, hatte er heute keine Lust. So sehr beschäftigte ihn der Tod des kleinen, unschuldigen Mädchens. Im Gedanken daran spuckte er einen Krümel Tabak verächtlich zur Seite auf den Boden. Erschrocken flogen die Tauben auf.
    Da entdeckte er im zertretenen Gras einen zart glitzernden Gegenstand. Eine kleine verschmutzte Glasmurmel. Kroll hob sie auf, putzte sie ordentlich und hielt sie in das Licht der noch recht kalten Frühlingssonne.
    Ein blauroter Farbschleier funkelte ihm entgegen. Als er die Kugel nahe vors Auge hielt, konnte er die Büsche, den Stadtgraben und die dahinter liegenden Häuserzeilen spiegelverkehrt und optisch verzerrt erkennen.
    Wovon träumt ein kleines Mädchen, wenn es durch eine solche Glasperle schaut?, fragte sich Kroll und lehnte sich auf der wackeligen Parkbank zurück. Er schloss seine Augen, träumte und bildete sich ein, in die Haut des Mädchens geschlüpft zu sein.

     
    *

     
    Die alte Zigeunerin hält ihre Wahrsagerkugel dicht vor meine Augen. Durch das runde Kristall erscheint die Welt wie ein Zauberland.
    Alles steht Kopf. Ich fühle keine Schwerkraft. Ich kann fliegen, wie die Tauben im Park.
    Feine farbige Schleier reiten auf den sich vielfältig brechenden Sonnenstrahlen und laden mich ein zu einer Reise in die Vergangenheit.
    Das wuchtige Holstentor auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke über dem Stadtgraben verwandelt sich in ein mächtiges, verwunschenes Schloss. Es ragt auf einem Felsen steil über dem Wassergraben hervor. Die Stadtbrücke wird zur mittelalterlichen Zugbrücke.
    Auf den Zinnen des Doppelturmmittelbaus steht ein Stelzentrompeter und schmettert eine angsterregende Kriegsmusik. Auf einem der beiden Dachreiter tanzt im Winde eine schmale, riesiglange rotblaue Fahne. Sie umschlingt meinen Hals und zieht mich wie von magischen Kräften getrieben zum Vorhof hin. Ich fliege sanft durch die Luft.
    Dort lässt sie mich fallen.
    Das schwere eisenbeschlagene Tor öffnet sich, und ein Ritter ohne Kopf lädt mich mit einer schwungvollen Geste ein, näherzutreten. Er sitzt auf einem Holzpferd, das seinen Schweif hebt und runde braune Pferdeäpfel fallen lässt. Sie bombardieren mich wie Kanonenkugeln. Eine fliegt direkt in meine Tasche. Mir bleibt nichts anderes übrig, als in den Schlund des düsteren linken Turmbaus einzutreten.

    Ich habe Angst.
    Rußige Fackeln erleuchten einen hohen Rittersaal nur spärlich. In den Ecken stehen rostige Rüstungen. Sie klappern mit ihren Schwertern. Ein Clown mit einem rot-blauen Zirkuskostüm nimmt mich an die Hand und führt mich stumm zur Stirnseite des Raumes, wo sich ein von einem Meer von Kerzen angeleuchteter Thron befindet.

    Darauf sitzt ein orientalischer Prinz. Er trägt einen rot-blauen Turban und ein lustig gemustertes Varietéjäckchen. Er lächelt mich an. Hinter ihm tummeln sich farbenprächtig gekleidete Tänzerinnen um einen Halbkreis von Fackeln, die einen betörenden Duft ausströmen.
    Der Prinz zwinkert mir freundlich zu und winkt mich ganz zart mit einer leichten Handbewegung zu sich. In der anderen Hand hält er einen wunderschönen Paradiesvogel. Ich beginne, wieder Mut zu schöpfen.
    Was will der Märchenprinz von mir?
    Er erhebt sich, nähert sich und legt seinen Arm um meine Schulter.
    »Möchtest du meine Braut werden? – Ich zeige dir mein Reich.«
    Er führt mich durch eine schmale Pforte eine steile Wendeltreppe hinauf. Sie mündet in einem breiten, runden Turmgemach. In der Mitte steht ein großes Holzmodell der Stadt im 17. Jahrhundert. Alles ist detailgetreu nachgebildet.

    Ich steige auf die Bank, die rund um das Modell führt. Von hier aus sehe ich die Stadt, als wäre ich ein Vogel. Die Menschen eilen durch die Straßen und Gassen. Pferdegespanne wühlen sich durch die schlammigen Wege. Am Hafen herrscht reges Treiben. Die vielen Koggen müssen entladen werden, bevor die

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