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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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zeigen.»
    Sie gingen ins Haus, und Sabina kam, wie jedes Mal, aus dem Staunen
nicht mehr heraus.
    An den Wänden hingen gut dreissig Ölbilder aller Epochen, mindestens
zehn mehr als beim letzten Mal. Fridolin hatte sie alle nachgemalt und mit
gewaltigen Rahmen versehen. Zwischen stattlichen Herrenmöbeln stand ein
geschwungenes rotes Samtsofa. Auf einem alten Tisch lagen Bleistiftskizzen.
Jeder der Stühle um den Tisch hatte eine andere Form. Ein stufenförmiges
Aquarium, das genau unter die Holztreppe eingepasst war, bot Fischen und
Pflanzen Raum, farbige Lampen beleuchteten die Unterwasserwelt. Im Obergeschoss
stand ein riesiges Himmelbett im chinesischen Stil, daneben Fridolins Staffelei.
Was von aussen wie eine einfache Holzhütte aussah, war in Wirklichkeit ein
Märchenschloss.
    Sein neuestes Schmuckstück zeigte er ihr, als sie oben angekommen
waren. Durch ein Fenster gelangte man auf eine Dachterrasse. Auf einer
überglasten Fläche hatte er hier eine kleine Welt aus Pflanzen und Hölzern
arrangiert. Dazu piepte und zwitscherte es aus Vogelkäfigen, ein Springbrunnen
plätscherte vor sich hin. Mitten in dieser urwaldartigen Oase stand eine runde
hölzerne Badewanne.
    «Also wenn es dich mal gelüstet, im heissen Wasser den Sternenhimmel
anzuschauen», sagte er, «mein Jacuzzi ist dein Jacuzzi. Den Himmel hier kann
man öffnen.» Er schob die Verglasung über dem Whirlpool zur Seite.
    Sabina war überwältigt. Was Fridolin sich hier mit improvisierender
Hand erschaffen hatte, war nicht weniger als ein Paradies. Warum nur spulen wir
normalen Leute tagein, tagaus unser Pflichtprogramm ab, während Menschen wie er
einfach ihre Träume verwirklichen?, dachte sie. Er hatte keinen festen Job, er
tat mal dies, mal jenes. Aber er lebte – und wie er lebte!
    «Gefällt’s der Dame wohl?», fragte er im Ton des herrschaftlichen
Gebieters.
    «Die Dame ist verzückt», antwortete Sabina mit dem Gestus des
scheuen Fräuleins, «der Dame fehlen die Worte gar.»
    «Da oben ist es auch wunderbar.» Fridolin blickte zur
gegenüberliegenden Seite des Schamserbergs. Dort lag weit oben die Alp Taspegn
mit den alten Silberminen. «Da ist das ganze Jahr über niemand, ausser zwei
Monate im Sommer. Früher haben sie da Erz abgebaut und kilometerweite Schächte
in den Stein gehauen. In zweitausend Metern Höhe. Völlig verrückt.»
    «Ich war noch nie da», sagte Sabina. «Aber hier gibt es verdammt
schöne und interessante Flecken. Deswegen bin ich ja zurückgekommen. Mich
erinnert das alles an meine Kindheit. So viel hat sich nicht verändert.»
    Fridolin gönnte ihr das kurze Abschweifen in Melancholie.
    «Einen Kaffee, Verehrteste?»
    «Oh ja, bitte. Ich kann heute nicht genug Kaffee bekommen.»
    Fridolin Thaller hatte eine Gabe, die nur wenige besassen. Er
verstand es, Menschen alles vergessen zu lassen, was sie an Sorgen mitbrachten.
Sabina steckte mitten in den Ermittlungen zu einem bestialischen Dreifachmord.
Und er spann ein Gewebe aus Humor und Schönheit um sie, das sie ihre Situation
fast vergessen liess. Erst nach dem Kaffee kam sie wieder auf die Morde zurück.
Sie versuchte, auf einem Papier das Symbol nachzuzeichnen, das sie auf der Tür
in Zürich gesehen hatte.
    «Kennst du ein Symbol, das so ähnlich aussieht?»
    Fridolin sah sich das kreisförmige Labyrinth an, drehte es einmal,
dann noch einmal.
    «Sieht keltisch aus, würde ich sagen. Aber konkret, nein, ich kenne
das Symbol nicht.»
    «Und Carschenna?»
    «Also, auf Carschenna, das sind konzentrische Kreise. Das hier ist
ja eher ein kreisförmiges Labyrinth. Aber es ist schon ein bisschen ähnlich.
Ja, stimmt. Warum?»
    «Das, mein Lieber, sag ich nicht mal dir.»
    Sie blieben noch ein wenig sitzen und schauten auf die Berge. Was
war das für eine wunderbare Landschaft, dachte Sabina, den Blick auf den Gipfel
des Piz Curvér gerichtet. Sie atmete noch einmal tief durch, dann stand sie
auf.
    «Willst du schon gehen?», sagte Thaller. «Ich dachte, wir würden
noch gemeinsam ins Jacuzzi steigen.»
    Er versuchte es immer wieder. Aber er wusste, dass sie nur das
pflegten, was man eine platonische Freundschaft nannte. Er war ein Schatz. Ein
Juwel von Mensch. Auch wenn sie ihn nur selten besuchte, musste sie sich eingestehen,
dass sie ihn auf eine gewisse Art und Weise liebte.
    Auf der Fahrt zurück nach Donat telefonierte sie mit Beeli und
instruierte die Presseabteilung, was in der Meldung für den nächsten Tag stehen
sollte. Ausserdem rief sie Heini noch

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