Schattengott
verstanden habe ich nicht, was Ihre Stiftung macht.»
Rosenacker lachte. Laut und herzlich.
«Wissen Sie, wie oft ich das schon erklärt habe? Und doch bleibt es
den Leuten suspekt. Ich bin ein Mann des Geistes, Frau Lindemann. Und eine
üppige Erbschaft hat es mir vor zwanzig Jahren ermöglicht, dieser Neigung
nachzugehen. Also habe ich das Schloss gekauft und eine Stiftung gegründet, in
der andere Geistmenschen ihrer Passion nachgehen können. Ich unterstütze sie
mit freier Kost und Logis. Alles, was ich dafür verlange: Ich möchte in ihre
Tätigkeiten und Forschungen miteinbezogen sein. Ich möchte wissen, womit sie
sich beschäftigen, und mit ihnen darüber diskutieren. Und ich möchte, dass sie
ihre Aufzeichnungen der Bibliothek zur Verfügung stellen oder ein Ergebnis
ihrer Schaffenskraft hierlassen. Sehen Sie», er deutete auf eine Wand mit
Bildern, «das sind alles Werke von ehemaligen Schlossgästen.»
Sabina betrachtete die Bilder. «Und womit beschäftigen sich Ihre
Gäste im Moment? Welche Erkenntnisse gewinnen Sie?»
Wieder lachte Rosenacker. «Im Moment ist wenig los», sagte er. «Ich
habe eine Steinbildhauerin aus Island zu Gast. Sie muss irgendwo im Garten sein,
haut Labyrinthe in den Stein.»
«Labyrinthe?», fragte Sabina.
«Ja, Sie können es sich nachher gern einmal anschauen. Die
Künstlerin, Frau Hauksdóttir, ist eine sehr stille Person. Dann ist noch Mister
Sanderson aus Australien hier, er beschäftigt sich mit Felszeichnungen, auch
mit denen auf Carschenna natürlich. Forscht auf der ganzen Welt über archaische
Symbole. Keine Ahnung, wo er sich rumtreibt. Wir sehen uns nur abends zum
Essen. Ein sehr unterhaltsamer Bursche. Und der Dritte ist Monsieur Redolfi aus
Frankreich, der die Heilwirkung von Musik wissenschaftlich zu beweisen
versucht. Auch er spricht nicht viel, aber das Thema ist höchst interessant,
wie ich finde.»
«Das heisst, hier kann jeder umsonst wohnen, der einer Passion
folgt, die in die Tiefe geht?», fragte Sabina.
«Sie sagen es, Frau Lindemann. Es kann ja nicht überall nur um
Effizienz gehen. In meinem Schloss kann jeder das vertiefen, was ihn bewegt,
und zwar so lange er will. Eine gewisse Ernsthaftigkeit vorausgesetzt. Ich
behalte mir schon auch vor, ein Gastgesuch abzulehnen.»
«Ich bin begeistert», sagte Sabina und meinte es ernst. «Aber warum
sind die Einheimischen dann so misstrauisch gegenüber Ihrer Stiftung?»
«Weil meine Gäste hier oft nichts sichtbar Produktives tun. Und dem
dichtet man gern was Sektiererisches an. Aber ich kann damit leben. Einmal im
Jahr mache ich ein Sommerfest, demnächst, zur Mondfinsternis, veranstalte ich
wieder eins. Da können sich alle über die Stiftung informieren. Ein kleiner
Zirkel an Interessenten aus der Umgebung hat sich schon gebildet. Kommen Sie
doch auch vorbei.»
«Gerne. Aber lassen Sie uns über das reden, weswegen ich eigentlich
gekommen bin.»
Der Koch betrat den Raum und stellte ein Silbertablett mit einer
englischen Teekanne, zwei feinen Tassen und einer Gebäckschale auf den Tisch.
Rosenacker schenkte den Tee ein, während Sabina weitersprach.
«Wie gesagt wurden gestern drei Leichen auf Crap Carschenna
gefunden.»
«Kaum vorstellbar. Ich wohne seit gut zwanzig Jahren hier. Es gab im
Domleschg und im Schams noch keinen einzigen Mord seither.»
«Ja, es ist tatsächlich alles sehr sonderbar», sagte Sabina, «aber
ich kann im Moment noch nicht über Details sprechen. Wir stecken mitten in den
Ermittlungen.»
«Und wie kann ich Ihnen helfen?»
«Sie sagten, Ihr australischer Gast forscht über Felszeichnungen?»
«Ja, er reist durch die ganze Welt. Seit einiger Zeit begutachtet er
die Felsen hier in der Gegend.»
«Ich möchte mich gern mit ihm unterhalten.»
«Nur zu, das ist ein sehr mitteilsamer Mensch. Ich weiss nur nicht,
wo er gerade ist.»
Sabina probierte einen der Kekse. Köstlich. Ein leichter Hauch von
Orange neben einem Anflug von Mandel, weich und doch kross.
«Hm, wer hat denn die gebacken?»
«Oskar. Er ist ein Meister.»
«Sie schmecken himmlisch, wirklich.»
Rosenacker strahlte über das ganze Gesicht. Sicher war er, wie jeder
ältere Herr es gewesen wäre, erfreut über den Besuch einer jungen Frau. Darüber
hinaus aber ging von ihm eine Herzlichkeit und Freundlichkeit aus, die
aussergewöhnlich waren. Sabina fasste Vertrauen.
«Die drei Frauen lagen nackt auf den Felsen. Sehr kunstvoll
arrangiert wie drei Gekreuzigte. Unsere Ermittlungen weisen in Richtung
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