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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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des
Mithraskults. Können Sie damit irgendetwas anfangen?»
    «Mithras und Carschenna?», murmelte Rosenacker. «Nein. Ich habe mich
im Laufe der Jahre natürlich auch mit Mithras beschäftigt, wie mit allen
anderen heidnischen Gottheiten, die es in unsere Breiten geschafft haben. Und
Zillis ist ja ganz sicher ein Ort des Mithraskults gewesen. Aber Carschenna hat
man eigentlich kaum damit in Verbindung gebracht. Der Kultplatz ist vermutlich
älter. Carschen ist im Rätoromanischen das Wort für aufgehender Mond. Ich
denke, es war von alters her ein Heiligtum zu Ehren der Gestirne.»
    Nach weiteren drei Keksen und zwei Tassen Tee erhob sich Sabina und
bat darum, den Garten besichtigen zu dürfen.
    «Sie sagten, die isländische Künstlerin sei im Garten?»
    «Ja, ich führe Sie gern zu Frau Hauksdóttir.»
    «Spricht sie Deutsch?», fragte Sabina.
    «Englisch», sagte Rosenacker.
    Rúna Hauksdóttir war eine zierliche, geradezu ätherisch wirkende
Frau mit langen braunen Haaren und gespenstisch weisser Haut. Ihre Augen waren
von einem blassen, grauen Blau. Sie hielt einen Hammer und einen Meissel in der
Hand und war gerade im Begriff, eine Spirale in einen abgeflachten Stein von
mindestens einem Meter Höhe zu hauen.
    «Miss Hauksdóttir?», sagte Alfred
Rosenacker. «May I introduce you to Miss Lindemann.»
    Sabina gab der Künstlerin die Hand und besah sich den Stein, den sie
gerade bearbeitete. Das Labyrinth hatte ohne Zweifel eine entfernte Ähnlichkeit
mit dem Symbol, das sie auf der Tür in Zürich gesehen hatte. Doch Rúna
Hauksdóttir wirkte nicht so, als habe sie etwas anderes als ihre Steinkunst im
Sinne. Sabina fragte die Isländerin, wie lang sie schon mit dieser Art von
Formen arbeite.
    Ihr ganzes Leben lang, gab sie zur Antwort, «the
spiralinth is my life.» Sabina verlieh ihrer Bewunderung Ausdruck und
fragte, seit wann sie da sei. Irgendwann im Winter sei sie gekommen, sagte die
Künstlerin, sie gebe nicht so viel auf Datum und Zeit. Ein Bekannter habe ihr
von Schloss Mondfels erzählt. Wo sie vorher gewohnt habe? In Island. Auf einem
Bauernhof. Wann sie zurückzugehen gedenke? Sie wisse es nicht, sie habe ein
One-Way-Ticket gebucht, das mache sie immer so.
    «I will leave when it is time», sagte sie.
Ich auch, dachte Sabina und verabschiedete sich von der Künstlerin.
    Unter einer alten Linde im Garten sass lesend Matthew Sanderson,
der australische Symbolforscher. Er war das, was man ein Original nennt. Der
Mann trug einen rauschenden rötlichen Vollbart, lange wallende Haare und eine
grosse runde Hornbrille. Er war von beträchtlicher Körperfülle. Schnell erwies
er sich als exzellenter Kenner der Graubündner Megalithkultur. Er wollte genau
wissen, auf welcher Platte von Carschenna die Leichen gefunden worden waren,
und schien ernsthaft schockiert wegen der Morde. Er sei schon an vielen
Kultplätzen gewesen, berichtete er. Nie aber hätte dort ein Mord stattgefunden.
    «Waren Sie in letzter Zeit auf Carschenna? Ist Ihnen etwas aufgefallen
bei den Felsen?»
    «Was genau meinen Sie?», fragte der Australier, der erstaunlich gut
Deutsch sprach.
    «Haben sich Leute die Felsen angeschaut? Wirkte es so, als bereite
jemand dort oben etwas vor?»
    «Nein. Da kommen immer mal wieder Wanderer vorbei. Aber aufgefallen
ist mir nichts.»
    «Wie oft waren Sie denn oben?»
    «Zwanzigmal vielleicht seit letztem Herbst, ich habe das alles sehr
genau angeschaut und fotografiert. Mir ist nichts Besonderes aufgefallen.»
    «Und wann waren Sie das letzte Mal oben?»
    «Ist schon eine Weile her, im März, denke ich. Es lag Schnee.»
    «Wie sind Sie denn immer hochgekommen nach Carschenna?»
    «Bis Hohen Rätien bin ich mit Herrn Rosenackers Auto gefahren und
dann gelaufen. Ja, ich habe geschwitzt.» Er lachte.
    «Danke», sagte Sabina und ging mit Rosenacker zum Tor.
    «Ach», fragte sie ihn auf dem Parkplatz, «dieser Defender da, ist
das der Wagen, von dem Herr Sanderson gesprochen hat?»
    «Ja», sagte Rosenacker, «er gehört der Stiftung. Ich selber fahre
wenig damit, aber Oskar macht die Besorgungen, und die Gäste sind auch froh,
wenn sie mal ein Auto haben. Es war neulich schon mal einer von der Polizei in
Thusis da und hat mich deswegen gefragt. Stimmt was nicht mit dem Auto?»
    «Nein, nein, nur so. Ich mag die alten Defender, sie wirken wie schwere
Büffel.»
    Rosenacker stimmte zu und lachte. Von seinem Händedruck ging etwas
Beruhigendes aus.
    Sabina beschloss, noch ein wenig bergauf zu fahren. Sie

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