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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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Sabina, er werde sich dann
unverzüglich mit Reto Beeli austauschen.
    Sabina schaltete den Laptop aus, zog sich an und ging zum Auto. Sie
wollte sich noch einmal an den Ort begeben, an dem die Leichen gefunden worden
waren.
    Sie nahm die Landstrasse durch die Viamala, bog in Thusis nach Sils
im Domleschg ab und gelangte über die alte Forststrasse auf die Höhe von
Carschenna. Die letzten Meter ging sie zu Fuss. Etwas oberhalb des Felsens, auf
dem die Leichen gefunden worden waren, setzte sie sich ins Gras und liess ihren
Blick schweifen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie der oder die Täter die
toten Frauenkörper hierhergebracht hatten. Die Leichen mussten in einem oder
mehreren Wagen transportiert und dann getragen worden sein. Man hatte sie
akkurat auf dem Felsen angeordnet, vielleicht noch einmal eingecremt, rituelle
Worte über ihnen gesprochen, sie möglicherweise dem Gott Mithras geweiht. Und
das Einzige, was die Täter hinterlassen hatten, waren Reifenspuren und
Schuhabdrücke. Aber würde das reichen? Würde man so Licht ins Dunkel bringen?
Sabina spürte wieder ihren Hals und erhob sich aus dem Gras. Sie fuhr zurück
nach Donat, checkte noch einmal ihre Mails und wickelte sich dann in eine warme
Decke. Schon bald schlief sie ein und wachte erst wieder auf, als es schon
dunkel war.
    * * *
    Der Knall. Die Splitter. Das Blut. Die Scheibe. Das Auto. Vater.
Vater. Reglos. Über dem Lenkrad. Die Scheibe. Zerborsten. Voller Blut. Sein
Blick. Kalt und leer. Die Augen. Tot. Sein Kopf. Halb am Hals. Wie ein
geschlachtetes Tier. Die Mutter. Schreit. Die Tür. Das andere Auto. Tot. Sie
schreit. Alle tot. Alle tot. Sie kommt. Fasst in sein Blut. Tränkt ihr Gesicht
darin. Das Kreuz. Auf ihrer Stirn. Aus seinem Blut. Sie schmiert sich das Kreuz
ins Gesicht. Aus Vaters Blut. «Herr, verzeih uns, Herr, vergib uns.» Immer
wieder. Ihr Flehen. «Herr, verzeih uns, Herr, vergib uns.» Sie hämmert mit den
Fäusten gegen Vaters Schädel. Die Hirnmasse tritt aus dem Kopf heraus. Sie
schaut kalt und leer. Das Kreuz auf ihrer Stirn. «Herr, verzeih uns, Herr,
vergib uns.» Sie ist so weit weg. Sie ist nicht mehr meine Ma-ma.
    Er lag in seinem Schweiss. Durch das kleine Dachfenster schien der
Mond in seine Kammer. Diese Bilder. Hörten sie niemals auf? Der Knall. Das
Blut. Vaters Augen. Sein Kopf. Das Schreien der Mutter. «Herr, verzeih uns,
Herr, vergib uns.» Jeden Tag. Und immer wieder das blutige Kreuz in ihrem
Gesicht. Immer wieder zeichnete sie es nach. Dann ihr toter Körper. Unter dem
Kreuz. In der kleinen Kirche. Ihr Hals. Voller Blut. Ihre Augen. Kalt. Das
Messer in ihren Händen. Voller Blut. Der Heiland darüber. Die Dornen auf seinem
Kopf. Blut. Wie das von Vater. Blut. Wie das von Mutter. Dieser Mann am Kreuz
hatte sie beide getötet. Es war sein Blut.
    Er stand aus dem Bett auf und setzte sich an den Schreibtisch. So
lange schon sehnte er sich nach Erlösung. Und jetzt war sie endlich nah. Sieben
Stiere. Siebenmal Blut. Sieben Stufen. Bis er die höchste erreichen würde. Die
Erlösung. In Mithras. Dem Erlöser. Den das Christentum verraten hat. Der die
Toten rächen wird. Hier. In der Heimat seiner Mutter. Wo sie unter dem Kreuz
geboren wurde. Die unter dem Kreuz starb. Die ihn allein gelassen hatte im
Internat. Bei ihm. «Komm auf mein Zimmer. Dem Herrn gefällt dein Antlitz. Zieh
dich aus und stell dich hin. Komm zu mir. So gefällst du dem Herrn.»
    Wann hörte das endlich auf? Mithras würde ihn erlösen. Ihn und die
sechs anderen, die vor den Hohepriester getreten waren. Jeder brachte einen Stier
zur Opferung. Jeder trug seinen Teil bei. So sollte es sein. Sieben Stiere, die
dem Kreuz dienten. Aus dem Schams. Wo die Christen den Felsengott getötet
hatten und seine Priester.
    Den ganzen langen Winter über hatte er das Ritual vorbereitet. Die
Kammern eingerichtet. Die Spuren verwischt. Im Schutz der Nacht hatte er alles
vorbereitet. Niemand hatte ihn bemerkt. Bald war es so weit. Bald würde er die
siebte Stufe erreichen.
    Er nahm die kleine Harfe und spielte die Melodie. Das alte Lied.
«Träum süss. Mein Kind, träum süss.» Sein Herzschlag beruhigte sich. Sein
Schweiss trocknete. Der Mond verschwand hinter den Wolken über der Schlucht.

8
    «Könnt ihr mich bitte auf den neuesten Stand der Ermittlungen
bringen», sagte Malfazi, der für einen Montag sehr früh zur Arbeit erschien.
«Entschuldigt, dass ich die ganze Zeit nicht erreichbar war. War ganz oben in
den Bergen, da kommen keine Funkwellen

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