SchattenGrab
Schwiegervater tot und dann noch der Aufenthalt von Marianne im eigenen Haus. Das war alles in allem zu viel gewesen. Auch die Medikamente konnten ihr nicht wirklich helfen. Sie machten dumpf, doch die Realität war trotzdem noch da. Vielleicht gelang es ihr, bei ihrer Schwester etwas Ruhe zu finden. Sie hoffte auch auf gute Gespräche mit Toni, die ihr weiterhelfen würden.
Erkenntnisse
Thorsten Büthe, der sofort gesehen hatte, dass sein Freund und Kollege Wolf Hetzer ihn anrief, streckte sich und drückte die grüne Taste auf seinem Handy.
„Na, Wolf, grüß dich, gibt’s was Neues?“
„Das kann man wohl sagen. Ich habe etwas sehr Interessantes für dich, das den ganzen Fall Dr. Friedhelm Görlitz und vielleicht auch das Verschwinden von Sophie in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt.“
„Eine Tatsache oder eine Vermutung?“
„Nein, eine Tatsache. Unsere Rechtsmedizinerin hat etwas Entscheidendes herausgefunden. Eigentlich mehr durch Zufall und auf ihre eigene Eingebung hin. Justus ist nicht Sophies Vater.“
Stille.
„Bist du noch dran?“, fragte Wolf.
„Ja, aber ich musste jetzt erst mal Luftholen. Du weißt, dass ich mit Justus befreundet bin.“
„Ja, weiß ich. Das macht für dich sicher alles nicht leichter, Thorsten.“
„Kann sie denn sagen, wer der wirkliche Vater von Sophie ist?“
„Kann sie. Es ist ein bisschen pikant, denn es ist Friedhelm.“
„Ich fasse es nicht. Das ändert in der Tat die Sachlage. Wir müssen in vielen Punkten um- oder weiterdenken. Danke, Wolf. Wie ist sie denn überhaupt auf die Idee gekommen, das zu untersuchen?“
„Es ging doch darum, zu überprüfen, ob es DNA-Anhaftungen von Sophie auf Friedhelms Kleidunggab. Sie hat sich die DNA von Sophie aus Hannover schicken lassen. Bei der Untersuchung der erblichen Bausteine von Friedhelm ist ihr aufgefallen, dass er einen Gendefekt hat. So ganz genau kann ich dir das nicht erklären. Irgendein Teil eines Chromosoms ist abgebrochen und hat woanders angedockt. Darum ist er wohl gesund, kann aber diese Behinderung, die Sophie hat, weitervererben. Das kam ihr komisch vor. Daraufhin hat sie aus einer inneren Eingebung heraus einen Vaterschaftstest gemacht und siehe da: Friedhelm Görlitz ist nicht der Opa, sondern der Vater.“
„Ich frage mich“, sagte Thorsten, „ob Justus das gewusst hat.“
„Oder Friedhelms Frau!“
„Ich muss jetzt erst mal nachdenken, Wolf. Können wir später telefonieren? Ich muss auch das Ermittlerteam informieren.“
„Das verstehe ich. Wir sprechen uns wieder.“
„Vielen Dank. Bitte grüß deine Rechtsmedizinerin von mir. Scheint ein echtes Ass zu sein und auch über den Horizont hinauszudenken. Wie hieß sie gleich noch? Ich habe sie ja mal auf deiner Geburtstagsfeier kennengelernt.“
„Dr. Nadja Serafin. Ich grüße sie gerne. Wir hören uns in Kürze wieder, denke ich.“
„Ganz bestimmt schon bald.“
Thorsten Büthe legte auf und steckte das Handy ein. In seinem Kopf explodierten die Gedanken wie Feuerwerke. Es war noch gar nicht abzusehen, welche Schlussfolgerungen sich aus dieser neuen Erkenntnis ergeben konnten.
Justus
Marianne saß auf ihrem Bett und sprach ganz leise mit ihrer Engelspuppe, als Justus eintrat. Er beobachtete sie. Sie schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. Für sie war er nicht da. Justus hatte ein echtes Problem. Er konnte nicht einschätzen, ob er seine Mutter allein lassen konnte. Um dies herauszufinden, hatte er sich ein paar Tage freigenommen.
Auch wenn seine Eltern nebenan gewohnt hatten, hatte es doch sehr wenig Berührungspunkte gegeben. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er zugeben, dass er daran nicht ganz unschuldig war. Seinen Vater hatte er lieber zu sich eingeladen. Das elterliche Haus mied er, weil er seine Mutter so anstrengend fand. Auch wenn sie lieb war, war ihre verrückte Art schwer zu ertragen. Darum ging er ihr lieber aus dem Weg, wenn es möglich war. Das ganze Engelsgeschwafel ging ihm auf die Nerven und die grellen Bilder erdrückten ihn. Seitdem sie nun auch noch diese Engelspuppen fertigte, fiel es ihm noch schwerer, das Haus zu betreten, weil sie alle so aussahen wie Sophie.
Justus beobachtete seine Mutter, die so ganz entrückt mit diesem Kopf sprach, an dem nur ein Fetzen Stoff und ein paar Federn hingen, und versuchte zu verstehen, was sie sagte, aber es war unmöglich.
„Mutter“, sagte er sanft, „wir müssen uns unterhalten.“
„Moment!“, antwortete sie. „Ich muss erst
Weitere Kostenlose Bücher