Schattengreifer - Die Zeitenfestung
stürzte aus der Haustür und konnte endlich zum Himmel schauen. Dorthin, worauf auch die Aufmerksamkeit aller anderen gerichtet war.
Und sie erschrak: Unzählige Krähen flogen über ihre Köpfe hinweg. Sie alle schossen aus dem Fuß der Rotkopf-Klippe hervor. Sie flogen dicht nebeneinander über das Meer und über die Stadt hinweg. Mit ihren schwarzen Körpern verdeckten sie wie eine düstere Wolke das Sonnenlicht. Es waren bestimmt Millionen. Es waren so viele Tiere, dass sie die Stadt für mehrere Augenblicke in Düsternis versetzten.
Das Rauschen ihrer Flügel legte sich wie ein lärmendes Tuch über die Stadt. Jeder Winkel schien erfüllt zu sein von diesem alles durchdringenden Geräusch.
Menschen schrien auf, ein Autofahrer wurde durch die Krähen so abgelenkt, dass er seinen Wagen geradewegs in die Hecke eines Vorgartens fuhr.
Irgendwo kreischte ein Kind.
Jessica hielt sich fassungslos die Hände vor den Mund. So etwas war hier noch nie geschehen. Sie konnte ihren Blick gar nicht mehr abwenden.
Endlich gaben die Tiere das Tageslicht wieder frei. In einem weiten Bogen flogen sie zurück zur Rotkopf-Klippe und verschwanden nacheinander im Fuße des riesigen Felsens.
Jessica schwankte. Sie hoffte inständig, dass diese unheimliche Begegnung nichts mit dem zu tun hatte, was gerade mit Simon und Christian vor sich ging.
Eine unterirdische Halle. Ein gigantischer Saal im Meeresgrund, über den sich eine Kuppel aus Glas spannte. Fische schwammen darüber hinweg, sogar einen Hai konnte Simon über sich entdecken und mehrere Delfine. Simon erinnerte sich an den Schlüssel in der Kajüte des Seelensammlers, der die Form eines Delfins hatte. Kein Zweifel: Sie waren in der Festung des Schattengreifers angekommen.
Jetzt entdeckte Simon auch den Rumpf eines Schiffes, und zwar direkt über sich und mit einem quadratischen Loch in seiner Mitte: der geheime Ausstieg aus dem Rumpf des Seelensammlers! Sie befanden sich hier unter dem Meer! Unter ihrem Schiff!
Doch dies war nicht der Ort, an dem Simon schon einmal gewesen war. Diese Halle war ihm völlig unbekannt. Vielleicht führte einer der bestimmt zwanzig Gänge, die von dieser Halle aus in alle Richtungen mündeten, dorthin.
Vor einem dieser Gänge stand der Schattengreifer und grinste ihnen spöttisch entgegen. Er war wohl gerade im Begriff gewesen, diesen einen Gang zu betreten, als das plötzliche Erscheinen von Simon und den Zeitenkriegern ihn scheinbar abgelenkt hatte.
»Willkommen!«, brachte er mit einem ironischen Unterton hervor. »Ich habe euch bereits erwartet.«
Er breitete die Arme zur Begrüßung aus, so wie sie es von ihm gewöhnt waren. Und als wäre es ein Teil dieses feierlichen Aktes, ertönte in diesem Moment erneut ein gigantisches Rauschen aus den Gängen um sie herum. Die ganze Halle erbebte unter den Schwingen der Krähen, die aus jedem Gang zurückgeflogen kamen. In Windeseile suchten die Vögel sich ihre Plätze. Sie setzten sich wieder auf die Wurzeln oder auf die Portale der Halle und verfolgten interessiert das Geschehen.
Simon rappelte sich auf, und auch seine Freunde erhoben sich von der Erde. Die kleine Krähe nahm wieder ihren Platz auf Simons Schulter ein. Alle Augen waren auf den Magier gerichtet, der jetzt auf sie zukam.
»Ich bin beeindruckt«, ließ er seine Stimme hören, die in der Weite dieser Halle mächtiger und gewaltiger klang. »Nicht nur, dass ihr dem Sandsturm entronnen seid – nein, ihr habt sogar den Weg hierher gefunden.« Er baute sich vor Simon auf. »Ich muss zugeben, ich bin begeistert von deinen Fähigkeiten.«
Simon richtete sich zu voller Größe auf. »Wo ist mein Vater?«, fragte er und versuchte, seiner Stimme ebenfalls Nachdruck zu verleihen, was ihm jedoch nicht gelang. Seine Worte klangen dumpf und matt, gerade so, als verweigere die Halle Simons Stimme jedes Echo.
Der Schattengreifer setzte zu einer Antwort an, doch er kam nicht dazu, etwas zu sagen, denn plötzlich ertönte ein tiefes Knurren, gefolgt von mächtigen Flügelschlägen. Aus einem der Gänge zu Simons linker Seite trat aus dem Schatten ein Säbelzahntigerhervor, und über ihm kam die riesige Krähe des Magiers in die Halle geflogen.
Caspar, Moon, Neferti und Nin-Si wichen erschrocken vor den Tieren zurück. Nur Simon blieb demonstrativ stehen. Er erkannte den Säbelzahntiger wieder. Die fehlenden Krallen und die Wunden an seinen Pfoten verrieten ihn. Simon hatte den Tiger bereits gesehen, damals, als der Schattengreifer
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