Schattengreifer - Die Zeitenfestung
seinen Knien hatte sich eine Krähe niedergelassen, die ihn aus riesigen Augen anschaute.
Tom schrie vor Entsetzen auf, und im gleichen Moment vernahm er schon das Rauschen der Krähen im Saal, die, von seinem Schrei aufgeschreckt, ihre Plätze verließen.
Und gleichzeitig hörte er eine kalte, schnarrende Stimme, die rief: »Wer da?«
Ein Schrei!
Eindeutig!
Christian sprang an die Eisenstangen heran und umklammerte sie.
Er hatte sich gewiss nicht verhört. Eine junge Stimme!
Simon vielleicht?
Was passierte dort in den Tiefen dieses Gangs, in dem er nicht einmal einen Hauch von Licht erspähen konnte?
Da! Wieder ein Geräusch. Der Magier hatte etwas gerufen. Zwei Worte nur, doch Christian hatte sie verstehen können: »Wer da?«
Der Schattengreifer schien nicht weit entfernt zu sein.
Oder doch?
In diesem Moment regte sich der Säbelzahntiger. Er erhob sich von seinem Platz, blickte Christian noch einmal aus den grauen Augen an, dann wandte er sich um und verschwand in der Dunkelheit der Höhle.
Auch die riesige Krähe, die bisher bewegungslos auf dem Felsvorsprung gesessen und nur zu ihm hereingestarrt hatte, spreizte mit einem Mal die Flügel. Mit mächtigen Schlägen flog auch sie in den Gang.
Was ging hier vor?
»Wo wollt ihr hin?«, brüllte Christian ihnen noch nach, doch die tiefe Dunkelheit schien selbst seine Stimme zu schlucken.
Das Licht wurde heller. Mit jedem Schritt wurde der Abhang steiler. Die Jugendlichen hielten sich krampfhaft aneinander fest. Sie hatten große Mühe voranzukommen.
Simon versuchte immer wieder, Halt an den Wänden zu finden, doch die Wurzelenden, die zwischen den Steinen herausschauten, waren glitschig. Die Schlitterspuren an den Wänden verrieten ihm, dass auch der Turnschuhträger vergeblich daran Halt gesucht haben musste.
Vor allem machte dieser Abhang den Eindruck, als wolle er kein Ende nehmen. Simon hoffte inständig, dass der Abhang sich nicht so lange durch die Höhle zog wie der Gang, den sie gekommen waren. Allzu lange würde er die Tortur sicherlich nicht mehr aushalten können.
Endlich glaubte Simon etwas zu erkennen. Es schien so, als münde dieser Abhang in ein halbrundes Portal. Wenn Simon sich nicht täuschte, konnte er so etwas wie einen Steinboden erkennen, über den das grüne Licht hinwegfloss.
Es sah tatsächlich aus, als hätten sie das Ende dieses Gangs erreicht.
Gerade wollte sich Simon umdrehen, um seine Freunde zu informieren, als ein Schrei zu hören war. Zugleich ertönte ein mächtiges Rauschen. Das Licht wurde geschluckt, denn riesige Krähen kamen plötzlich den Abhang hinaufgeschossen. Simon versuchte, seine Hand schützend vor die Augen zu legen und sich von den Krähen abzuwenden, ebenso wie seine Freunde.
Simon glaubte, eine zweite Stimme zu hören, die etwas rief, doch er konnte sich im Lärm der schlagenden Flügel auch täuschen.
Caspar versuchte, eine der Krähen abzuwehren, die sich in seiner Kleidung verfangen hatte, doch er verlor dabei das Gleichgewicht, rutschte auf dem glitschigen Boden aus und schlitterte den Abhang hinunter. Als Letzter in der Reihe zog er alle anderen mit sich.
Hintereinander rutschten sie die letzten Meter hinab. Die kleine Krähe stieß Halt suchend ihre Krallen in Simons Schulter. Simon spürte die Stiche, doch er ignorierte sie, denn mit Schrecken erkannte er, worauf sie zurasten: Vor ihnen, in einer riesigen Halle, stand der Schattengreifer und drehte sich gerade zu ihnen um.
Sein feistes Grinsen verriet, dass er sie bereits erwartet hatte.
Ein Tumult vor der Haustür ließ Jessica aufhorchen. Sie war gerade damit beschäftigt, Simons Bücher zurück in die Schublade zu legen. Sie sollten alle an ihrem Platz sein, wenn er wiederkam.
Wenn er wiederkam – mit Christian an seiner Seite.
Wenn …
Sie unterdrückte die aufkommenden Tränen, ging über den Flur ins Bad, stellte sich dort ans Fenster und blickte hinaus auf die Straße.
Einige Nachbarn hatten sich dort versammelt. Sie wirkten sehr aufgeregt und zeigten zum Himmel. Jessica versuchte, ihrenBlicken zu folgen, doch sie konnte von hier aus nichts Ungewöhnliches erkennen.
Weitere Nachbarn strömten auf die Straße. Allesamt aufgebracht und immer wieder zum Himmel starrend.
Jessica beschloss, der Sache nachzugehen. Sie rannte aus dem Bad heraus, die Treppe hinunter, als sie merkte, wie das Licht um sie herum schwand. Um das Haus herum wurde es dunkel, und in Jessica machte sich ein bedrückendes Gefühl breit.
Sie
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