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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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gehen.»Fili wurde missbraucht! Und da kommen Sie mir mit dem Beichtgeheimnis?«
    »Ich habe schon viel zu viel gesagt. Gehen Sie. Bitte.«
    Nico ging zur Tür. Sie kam ihm dabei nahe. Sehr nahe.
    »Es gibt Beweise. Glauben Sie mir. Es gibt sie. Und ich habe sie in meinem Besitz.«
    »Beweise? Wofür?«
    »Das«, antwortete Nico, »unterliegt nun ausnahmsweise mal meinem Beichtgeheimnis. Einen schönen Abend noch.«
    Sie lief hinaus. Luft, einfach nur frische Luft. Da drinnen hatte sie für einen Moment geglaubt, ersticken zu müssen. Erst am Gartentor drehte sie sich noch einmal um. Der Pfarrer stand im Hauseingang, die rechte Hand erhoben. Vielleicht hatte er sie gerade gesegnet. Vielleicht aber auch verflucht. Nico spürte den Würgereiz in ihrer Kehle.
    Weihrauch. Schon in der Kirche hatte sie den Zusammenhang geahnt, aber nicht weiter darüber nachgedacht. Nun, wo alles eine Bedeutung bekommen zu schien, fiel es ihr wieder ein.
    Immer wenn Fili sonntags zu ihnen gekommen war, hatte sie noch eine Ahnung von Weihrauchduft in den Haaren gehabt.

Fünfunddreißig
    Leon wartete an der Ecke auf sie. Er nahm ihr wortlos die Jacke ab, die sie ihm reichte. Dann stapfte er los in Richtung Schwarzem Hirschen. Wohl oder übel musste Nico ihm folgen.
    »Es tut mir leid!«, keuchte sie, als sie die große Kreuzung erreichten und er immer noch kein Wort gesagt hatte. »Er wohnte im fünften Zimmer. Ich wollte es dir nicht sagen, weil …«
    Abrupt blieb er stehen. »Weil er auch in dein Beuteschema passt?«
    »Leon! Weil ich dich nicht noch einmal verletzen wollte!«
    »Ach ja? Wie großzügig von dir! Wann hättest du denn mit der Wahrheit herausrücken wollen? Heute noch? Morgen? Und vor allem: Was dann?«
    »Ich … Ich verstehe dich nicht.«
    »Wirklich nicht?«
    Sie musste blinzeln. Die Schneekristalle rieselten auf sie hinab und blieben auf Haaren und Schultern liegen wie kleine Styroporkügelchen.
    »Du erwartest von mir, dass ich meinen eigenen Vater frage, ob er was mit kleinen Mädchen hatte?«
    Nico schluckte. »Ja«, sagte sie schließlich. »Das erwarte ich. Das täte ich auch. Totschweigen hilft doch nicht. Weder den Opfern noch den Tätern. Aber eine Therapie.«
    »Oh mein Gott! Du glaubst es wirklich.«
    »Das habe ich nicht gesagt! Ich kann nur nicht leugnen, dass er ein Zimmer im zweiten Stock hatte. Und dass Herr Kress behauptet hat, Fili wäre von dort gekommen, völlig außer sich. Das kann ich doch nicht einfach zur Seite wischen, nur weil es um deinen Vater geht!«
    »Dann hättest du es mir sagen sollen!«
    »Ich hatte noch keine Gelegenheit dazu!«
    »Und was kommt nach dem Gespräch mit meinem Vater?«
    Nico starrte ihn verständnislos an. Er fuhr sich durch die Haare, erreichte aber nicht, dass die widerspenstigen Strähnen dort blieben, wo er sie hinhaben wollte. Sie fielen ihm sofort wieder in die Stirn.
    »Nico, wenn ich mit meinem Vater gesprochen habe und er Nein sagt, was dann? Bin ich dann der Nächste, den du verdächtigst?«
    »Natürlich nicht«, stammelte sie. »Du warst doch viel zu jung!«
    »Ich war neun, als Fili starb. Ich bitte dich. In diesem Alter reißen Jungs Fröschen die Beine aus. Warum sollte ich also nicht über eine Sechsjährige herfallen?«
    »Das ist doch Unsinn!«
    »Nein! In deinem Kopf eben nicht! Wann hört das auf?«, schrie er sie an. »Wann gibst du endlich, endlich Ruhe?«
    Er lief so schnell weiter, dass sie Mühe hatte, ihm zu folgen.
    »Was?« Sie konnte nicht glauben, was er gerade gesagt hatte. »Du hast doch zugegeben, dass du Fili glaubst! Wir beide sind die Einzigen, die wirklich wissen, was passiert ist.«
    »Sind wir das?«, fragte er sie. Er fuhr herum, packte sie an den Schultern und zog sie zu sich heran. Kein zärtlicher Griff war das. Fast schon brutal. Als würde er sich am liebsten mit ihr auf der ausgestorbenen Kreuzung prügeln wollen. »Wissen wir das wirklich?«
    »Ja! Du hast doch das Bild gesehen! Kiana auch! Und Fili hat mir selbst gesagt …«
    »Das glaubst du doch nur! Das reimst du dir alles so zusammen, weil es so wunderbar in deine selbst gezimmerte Erklärung passt und du einfach nicht damit klarkommst, was damals passiert ist!«
    »Was ist passiert?« Sie waren sich so nahe, als ob sie sich gleich küssen würden. Dabei sprühten Hass und Verzweiflung aus seinen Augen, und Nico hätte ihn am liebsten geschlagen oder geohrfeigt oder ans Schienbein getreten, wenn er sie nicht so fest umklammert hätte. »Sag du es mir. Was ist

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