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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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klarkommen!«
    Welche Situation?, fragte sich Nico.
    »Wir backen heute Mittag noch einmal.«
    Nico reckte sich, um zu erkennen, was es noch im Angebot gab. Die Verkäuferin zog gerade zwei Laibe Brot aus dem geplünderten Regal. »Keine Sorge, es gibt genug. Wir halten das schon noch eine Weile durch.«
    Nicos Magen, der sich seit dem vergangenen Abend mit nichts anderem als einer im Wasserkocher auf Lauwarm getunten Gemüsekonserve zufriedengeben musste, machte sich lautstark bemerkbar. Sie lugte zum Schaufenster – die Kuchen und Brote waren Dekoration.
    Die Kasse klingelte, die Verkäuferin rief: »Wer war der Nächste?«, und eine Frau, eckig und schmal, mit verkniffenem, hagerem Gesicht, boxte sich durch die Wartenden und schlug beim Hinausgehen Nico auch noch die Tür in den Rücken.
    Es dauerte eine gute Viertelstunde, bis Nico endlich an der Reihe war. Sie schob sich vor, deutete auf die letzten Brötchen und wollte gerade den Mund aufmachen, da sah die Verkäuferin sie zum ersten Mal an und stieß einen Überraschungslaut aus.
    »Nein!«
    Nico drehte sich um, weil sie glaubte, irgendetwas hinter ihrem Rücken hätte diesen Ausruf ausgelöst. Sie sah in ungläubige, erstaunte Gesichter.
    »Sie sieht aus wie die junge Kiana«, flüsterte eine kleine, dicke Frau mit roten Wangen.
    »Ich bin ihre Nichte«, antwortete Nico freundlich. »Ich war früher mal in den Ferien hier.«
    Sie drehte sich wieder zu der Verkäuferin um. Die verschränkte die Arme unter dem üppigen Busen und musterte sie, als hätte Nico sich gerade vor ihren Augen in eine Küchenschabe oder schlimmer noch: in einen Mehlwurm verwandelt.
    »Du bist das? Und da kommst du ausgerechnet hierher?«
    Nico hob unsicher die Schultern. »Ähm … Brötchen?«
    »Heute nicht.«
    »Dann … vielleicht das Baguette da hinten?«
    »Das ist vorbestellt.«
    Nico schluckte. »Was haben Sie denn noch?«
    Die Türglocke schellte, neue Kunden kamen in den Laden. Es war unglaublich eng, und trotzdem kam es Nico vor, als würden die Leute um sie herum auf Abstand gehen.
    »Nichts.«
    Nicos Blick wanderte hinunter zur Vitrine. Dort lagen Mürbeteigkekse, Ochsenaugen, Nusskracher und Mandelhörnchen.
    »Ich nehme ein Mandelhörnchen«, sagte sie leise.
    Die Verkäuferin schüttelte den Kopf.
    »Der Nächste bitte?«
    Jemand trat neben sie und reichte einen Stoffbeutel über den Tresen. Das eben noch finstere Gesicht der Frau hellte sich schlagartig auf.
    »Was darf’s sein?«
    »Ein Vollkornbrot und … das Baguette da hinten.«
    Nico fuhr herum. Neben ihr stand Leon. Er nahm die Ware in Empfang, zahlte, bedankte sich und hielt Nico das Baguette unter die Nase.
    »Hier. – Eine milde Gabe an Bedürftige.«
    Jemand lachte. Die Spannung schien sich aufzulösen. Die Verkäuferin schüttelte den Kopf – offensichtlich gefiel es ihr, dass Leon sie ausgetrickst hatte. Aber als ihr Blick noch einmal zu Nico wanderte, gefror ihr Lächeln. Nicos Brötchengeber nahm sie beim Arm und bugsierte sie durch die Menschen hinaus auf die Straße.
    »Danke«, sagte sie verdutzt. »Was war das denn?«
    Leon stapfte, ohne nach links oder rechts zu sehen, durch den tiefen Neuschnee quer über die Kreuzung. Das ging, weil weit und breit kein Auto unterwegs war. Vermutlich waren sie alle stecken geblieben, denn auch von Räumfahrzeugen war nichts zu sehen.
    »Komm schon.«
    Nico folgte ihm. Er holte einen Schlüssel aus der Jackentasche und öffnete die geriffelte Glastür zum Schwarzen Hirschen. Das sanfte Klingen eines Windspiels begleitete ihren Eintritt.
    »Willst du einen Kaffee?«
    »Ja, gerne. Großartige Idee.« Nico brach das knusprige Ende des Brotes ab. Normalerweise hätte sie kein Wort herausgebracht, wenn jemand wie Leon sie angesprochen hätte. Er trug wieder diese abgefahrene Holzfällermütze und seine Polarjacke, und seine Jeans waren in die Stiefel gesteckt. Ein paar lockige Strähnen fielen über seine strahlend blauen Augen, und dass er sich am Morgen nicht rasiert hatte, machte sein schmales Gesicht noch interessanter. Er hatte was von einem sexiest norwegian alive , aber er war es auch gewesen, der sie mit den drei peinlichsten B der Welt auf dem Weg zum Brocken erwischt hatte: Besen, Badeanzug, Bärchenhausschuhe. Valerie würde als einzigen Kommentar Limbo sagen – so was von unten durch, tiefer ging’s nicht. Also brauchte sie sich gar nicht anzustrengen, verlegen zu sein – es half sowieso nichts mehr. Ist der Ruf erst ruiniert, dachte sie und schob ein

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