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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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vor ihm. Sie setzten sich auf seine Schulter und sangen liebliche Liedchen. – Die Vöglein …«
    Nico brach ab.
    »Was ist mit den Vöglein?«
    »Ein merkwürdiger Begriff. So altmodisch. Im normalen Sprachgebrauch gibt es ihn nicht. Aber Maik hat ihn benutzt.«
    »Maik Krischek redet von Vöglein?« Leon zog die Augenbrauen hoch. Er war sichtlich amüsiert. »Bringst du da nicht ein paar Buchstaben durcheinander?«
    »Du hast es nicht mitbekommen, weil du bei den Briketts warst. Nicht nur von den Vöglein hat er erzählt. Auch von den Kindlein im silbernen Grab und dass die Tür alle zwölf Jahre einmal aufgehen würde.«
    »Du übst ja einen erstaunlichen Einfluss aus.«
    Nico trank einen Schluck Tee und vermied in letzter Sekunde, ihn wieder auszuspucken. »Ist er ein bisschen meschugge?«
    »Er war mal verschüttet als Kind. Im alten Stollen.«
    »Ach.« Sie ließ nachdenklich die Blätter sinken. »Mir kommt es so vor, als ob alle Wege da hinaufführen. Kianas Stein. Das Märchen vom silbernen Grab. Maiks Kindheitstrauma. Filis Tod.«
    »Nein.« Leon sprach so klar und bestimmt, dass Nico zusammenzuckte. »Da oben ist nichts. Es ist ein uralter Gang, der nur zum Teil verfüllt worden ist und den man vor hundert Jahren mit einem Eisentor gesichert hat.«
    »Offenbar nicht richtig. Sonst wäre Fili doch nicht dort gefunden worden?«
    »Warst du da? Warst du wirklich mit ihr dort oben? In den Gängen?«
    Nico seufzte. »Ich weiß es nicht. Manchmal glaube ich, ja. Aber dann habe ich wieder das Gefühl, dass ich mir alles nur zusammenreime. Schließlich hat man mich ganz woanders gefunden. Aber jeder hat doch eine Vorstellung davon im Kopf, wie so eine Höhle oder ein Stollen aussehen könnte. Wenn ich ihn mir noch mal ansehen könnte …«
    »Die Gänge führten Hunderte von Metern in die Tiefe und in den Berg. Es ist ein Labyrinth. Es ist lebensgefährlich, dort hineinzugehen. Deshalb: Nein. Nein, du wirst nicht in den Stollen gehen.«
    »Ich muss den Stein zurückbringen.«
    »Du musst gar nichts. Oder willst du Kianas Haus jetzt auf einmal?«
    Nico stand auf und umrundete das Bett, was in der Enge nicht einfach war. Vor allem wollte sie Leon nicht berühren. Nicht absichtlich, nicht unabsichtlich. Sie ging zum Fenster und schob den kurzen karierten Vorhang zur Seite. Sie sah hinunter auf einen fast leeren Parkplatz hinter dem Haus. Einige Schneehügel ließen vermuten, dass dort unten zwei Autos und ein paar Müllcontainer standen.
    Das Haus. Schattengrund. Sie wusste jetzt, warum Kiana ihr diese Aufgaben gestellt hatte. Sie sollte sich erinnern und etwas verarbeiten, das zwölf Jahre lang ihre Seele verdunkelt hatte. Sie sollte Filis Geheimnis lüften und etwas wiedergutmachen. Es ging nicht um das Haus. Es ging um sie, Nico. Und um ein ungesühntes Verbrechen.
    Eine Welle von Wärme und Liebe schwappte in ihr Herz, so plötzlich und ungestüm, dass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte. Es war der Moment der Erkenntnis, dass all dies geschah, um etwas zum Guten zu wenden, und dass der Grund dafür die Liebe zu dem kleinen Mädchen war, das sie, Nico, einmal gewesen war. Egal, was sie angestellt hatte, Kiana hatte sie nicht aufgegeben. Nicht, als sie noch lebte, und erst recht über den Tod hinaus.
    Sie schloss die Augen und lehnte die Stirn an die kalte Scheibe.
    »Es geht um mehr. Ich muss herausfinden, was mit Fili passiert ist.«
    Sie konnte hören, dass Leon seinen Tee trank. Erstaunlich, dass jemand, der so gut kochen konnte, bei Tee so kläglich versagte.
    »Was ist ihr denn passiert?« Er klang ungeduldig. So, als ob er Nicos Theorie jetzt als reines Hirngespinst abtun wollte. Vermutlich würde es ihr ähnlich gehen, wenn sie in seiner Situation wäre. Ein rätselhafter Todesfall in der Familie und der Verdacht, dass in diesem Haus vielleicht etwas Furchtbares geschehen war. Das wollte man nicht hören. Das schob man weg von sich.
    Nico drehte sich um. »Sie ist missbraucht worden. Wahrscheinlich in ihrem Zimmer. Von jemandem, der Zugang dazu hatte. Und ich will wissen, wer das getan hat.«
    »Verstehe.« Er schüttete den Rest seines Tees samt Beutel in den Papierkorb. »Du verdächtigst Zach. Natürlich. Er ist widerlich, brutal, versoffen und letzten Endes ein Vollidiot. Aber das heißt noch lange nicht, dass er seine eigene Tochter … Gott, ich kann es nicht aussprechen. Ich kann noch nicht mal daran denken! Weißt du eigentlich, was du da tust?«
    »Ja. Ist es nicht merkwürdig, dass alle

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