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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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auch ihr durch den Zaun die Finger entgegen. Ulli griff danach und lachte, glücklich über das strahlende Mädchengesicht.
    «Soll ich die Wolke holen?», fragte Merle mit einem Blick von der einen zur anderen.
    «Ja, hol sie mal», bestätigte Andrea.
    Wolke hing verängstigt an Merles Hand. Auf den letzten Metern nahm Merle sie auf den Arm und trug sie, weil sie sich weiterzugehen weigerte. «Die Wolke ist schüchtern», sagte Merle entschuldigend. Die Kleine war nicht nur schüchtern, sie schien auch traumatisiert zu sein. Jedenfalls benahm sie sich wie eine Eineinhalbjährige, den Daumen im Mund, den Blick weinerlich von den beiden Frauen fortgewandt.
    Kaum waren die Mädchen herangekommen, tauchte auch schon eine Heimbetreuerin auf, die bemerkt hatte, was sich am Zaun abspielte. «Frau Vogel und Frau Stamitz?», fragte sie misstrauisch. «Genau», antwortete Andrea. «Kommen Sie bitte zum Tor», befahl die Betreuerin, noch immer kritisch klingend. «Ich lasse Sie dann rein.»
    Andrea und Ulli wären gerne mit den Kindern draußen auf dem Spielplatz geblieben. Doch die Betreuerin bestand auf einem formalisierten Ablauf. Sie wurden in einen Besuchsraum mit einem Tisch und Stühlen geführt, wo sie sich unter Aufsicht eine Stunde mit den Mädchen beschäftigen sollten. Ulli rutschte das Herz in die Hose: Was für eine unnatürliche, nicht kindgerechte Situation, so gar nicht geeignet, irgendjemandem die Befangenheit zu nehmen. Die kleine Merle spürte das auch und kämpfte auf rührende Weise dagegen an. Sie war diejenige, die das Gespräch in Gang brachte und die sich bei jeder drohenden Pause schnell etwas Neues ausdachte, um es nicht einschlafen zu lassen. Wolke dagegen schwieg trotzig-ängstlich, klammerte sich an Merle fest und nahm den Daumen nicht aus dem Mund. Doch irgendwann geschah ein Wunder. Sie hatten gerade die Bücher ausgepackt, da rutschte Wolke von Merles Schoß, auf den sie sich geflüchtet hatte, und kletterte wortlos bei Andrea auf die Knie. «Eis gebrochen», flüsterte Ulli Andrea zu. Jetzt nutzte Merle die Gelegenheit und ließ sich auf Ullis Schoß nieder. Lange saßen sie so, Ulli las mit Merle deren Buch, und Andrea sah eines der Bilderbücher mit Wolke an. Ulli wusste in dem Moment, genau so würde es weitergehen: Die vernünftige, ältere Merle würde mehr das Ullikind werden und die kleine Wolke mehr das Andreakind, was genau den Temperamenten der beiden Frauen entsprach, und alle zusammen würden sie glücklich werden.
    ***
    Für den nächsten Fortschritt im Fall Vogel musste das K  11 nicht arbeiten. Er kündigte sich per Mail bei Fock an, kam von der Hamburg-Mannheimer und sah definitiv aus wie Herr Kaiser, obwohl er König hieß. Eine Aktenmappe in der Hand, betrat Herr König Winters Büro und produzierte ahnungslos eine brenzlige Situation. «Einer der Herren hier soll zuständig für den Mordfall Sabrina Vogel sein, hab ich mir sagen lassen.»
    «Jawoll, das bin ich», sagte Kettler, sprang auf und schüttelte dem Mann die Hand. «Kettler, Kriminalkommissar.»
    «König, Hamburg-Mannheimer.»
    Winter verdrehte die Augen. «Ähem, Sven …», begann er, dann stand er bloß langsam auf, ging zu dem Versicherungsfritzen und schüttelte ihm ebenfalls die Hand. «Winter, Kriminalhauptkommissar. Kollege Kettler hat mich in der Sache Vogel im Januar zwei Wochen vertreten. Derzeit liegt der Fall bei mir. Bitte setzen Sie sich.» Winter zog einen Stuhl hervor. Kettler sandte ihm einen giftigen Blick zu, den er ignorierte.
    «Kaffee?»
    «Nein, danke, ich hatte gerade. Aber falls Sie ein Glas Wasser hätten …»
    Winter füllte eines ab und reichte es Herrn Kaiser-König, der eine Brausetablette hineinfallen ließ.
    «Ich nehme an, Sie kommen wegen unseres Schreibens?», fragte Winter. Er hatte Briefe an um die fünfzig Lebensversicherer abgeschickt mit der Frage, ob sie eine Police auf das Leben einer Sabrina Vogel, einer Verena Tamm oder Birthe Feldkamp abgeschlossen hätten. Bislang hatten sie keine Reaktionen erhalten.
    «Öh, nein. Von einem Schreiben Ihrerseits weiß ich gar nichts. Was hatten Sie uns denn geschrieben?»
    «Wir haben in dem Fall Sabrina Vogel den Verdacht, dass bei der Tötung Versicherungsbetrug im Spiel sein könnte.»
    «Versicherungsbetrug? Ach? Das ließ sich der Presse nicht entnehmen. Es geht allerdings bei meinem Anliegen um eine Lebensversicherung.»
    Winter spürte ein Triumphgefühl. «Genau darum geht es uns auch. Bitte erzählen Sie

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