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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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bekommen.
    Said war oft bei Matthias zu Hause. Mit zwölf gestand Melli Matthias, dass sie in Said verliebt sei. Matthias selbst war ein bisschen verliebt in Saids mittlere Schwester Nadia. Als Melli dreizehn war, waren sie und Said offiziell «zusammen». Matthias aber traute sich bei Nadia nicht. Zum einen wusste er nicht, ob sie ihn tatsächlich gut fand, zum anderen war er sicher, dass Saids Eltern absolut dagegen wären. Nicht nur weil er kein Muslim war und die Boutaleb-Mädchen sowieso keinen Freund haben durften. Er war in deren Wohnung generell kein gern gesehener Gast. Saids Eltern hatten natürlich mitbekommen, wie seine Mutter ihr Geld verdiente. Und angeblich übte Matthias einen schlechten Einfluss auf Said aus.
    In den letzten Jahren hatten sie von Coup zu Coup gelebt, mal schwimmend im Geld, mal ohne einen Cent. Bei Said flossen die Euros plötzlich regelmäßiger. Immer hatte er mindestens zwei Fünfzigerscheine in der Tasche. Matthias wusste nicht, woher das Geld kam.
    Melli war abends oft weg. Bei Said, sagte sie. Oder: Mit Said in einem Club. Melli wirkte nicht glücklich. Sie wurde immer verschlossener, zog sich zurück. Ihre Freundinnen kamen nicht mehr. Dafür Briefe aus der Schule: Sie schwänze. Sie lag meist bis mittags im Bett, angeblich fühle sie sich schlapp und krank und habe Migräne.
    Matthias bekam nicht aus ihr heraus, was los war. Er hatte keine Ahnung, bis er sie eines Abends in der Elbestraße nahe dem Bahnhof sah, wie sie bei einem Freier ins Auto stieg.
    Zu Hause wartete er die ganze Nacht auf Melli. Gegen fünf kam sie, und er stellte sie zur Rede. Sie gab alles zu. Er hatte sich nicht verguckt. Nur mühsam konnte Matthias sich davon abhalten, sie zu schlagen, so enttäuscht war er. Aber es ging ja darum, sie zu schützen, nicht, ihr weh zu tun. «Hat Mama dich dazu gezwungen?», presste er hervor.
    Nein. Es habe sie überhaupt niemand gezwungen. Es habe sich so ergeben. Sie habe jetzt «ja auch etwas mehr Geld auf die Weise».
    «Und wer hat noch mehr Geld?», fragte Matthias, dem sich nach Mellis Formulierung in Vorahnung die Nackenhaare aufstellten.
    «Na ja, Said geb ich das meiste ab. Ich bin doch seine Freundin, ich mach das für uns beide. Reg dich nicht auf, Matti, das muss man als Freundin tun. Geld verdienen macht nie Spaß, das ist halt so. Und ich lieb ihn doch. Was du machst, ist ja auch nicht besser. Lieber so, als wenn ich für fünf Kröten die Stunde putzen gehen müsste wie Saids Mutter. Said sagt …»
    Da war Matthias schon am Telefon. Er ignorierte die Mailbox des Handys, die sich nach dreimal Klingeln meldete; drückte immer wieder auf die Wahlwiederholung. Endlich meldete sich ein verschlafener Said.
    «Du schickst also meine Schwester auf den Strich», sagte Matthias in kalter Wut.
    Ein hörbares Luftanhalten auf der anderen Seite. Dann: «Ey komm, Alter, mach kein Stress. Echt. Das macht die doch gern. Ist ja nicht, als wär’s Nadia. Die Christenmädels sind doch sowieso alles geborene Huren.»
    Matthias legte auf. In den folgenden Stunden des namenlosen Zorns plante er, Said zu töten. Said hatte Mellis Leben verpfuscht, verunreinigt, er musste sterben. Der Aberglaube, dass er durch die Tötung von Said alles, was Said verursacht hatte, ungeschehen machen würde, trieb Matthias an. Wenn Said tot war, würde Melli von einem Tag zum anderen dem Strich entrissen. Sie würde ihren Fehler erkennen, alles Dreckige, was sie erlebt hatte, vergessen können und wieder eine unschuldige Schülerin werden. Hatte nicht Matthias selbst nur deshalb all die Jahre zu kriminellen Mitteln gegriffen, damit Melli ein normales, ein unbeflecktes Leben führen konnte? Sollte er sich umsonst geopfert haben? Damit dem nicht so war, musste er Said opfern für sich und für Melli.
    Doch später, nach seiner Tat, stellte sich heraus: Für Melli war das alles zu viel. Dass Matthias Said umgebracht hatte, ganz besonders. Weniger wegen Said, sondern weil der Mensch, dem sie am meisten vertraute, ihr jetzt unheimlich geworden war. Außerdem schämte sie sich, die Schwester eines Mörders zu sein. Tausendmal mehr schämte sie sich jetzt, als sie sich geschämt hatte, für Geld Männern den Schwanz zu lutschen, bis sie würgen musste. Es half nicht, dass sie sich schuldig fühlte an Matthias’ Tat.
    In einer Sonntagnacht im folgenden Vorfrühling fiel die U 5 auf ganzer Strecke für drei Stunden aus. Der Grund: Eine Melissa Olsberg war an der Konstablerwache in die Katakomben der

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