Schattenhaus
Jahre zusenden, die mit Olsberg engen Kontakt hatten oder aus dem Raum Lauterbach stammten.
Die Mitarbeiter dort würden sich freuen.
***
Reinhard Pfister hatte einen schlechten Tag. Er hatte Schmerzen in Rücken und Bauch, fühlte sich elend und fiebrig. Wieder eine Infektion vom Katheter. Das Wohnzimmer, dessen Gefangener er nun war, hasste er täglich mehr. Es musste Spätsommer sein, wenn er es im Fernsehen richtig verstanden hatte. Draußen waren Frühling und Sommer vorübergegangen, ohne dass er davon etwas mitbekommen hatte. Nicht ein einziges Mal war er draußen gewesen. Gunhild konnte den Rollstuhl nicht die Treppen hinunterbefördern. Herrgott, sollte sie sich doch Hilfe von den jungen Leuten zwei Häuser weiter holen! Konnten die nicht mit anfassen, sodass Gunhild ihn einmal am Tag die Straße auf und ab schieben konnte? Aber sie verstand ihn nicht, wenn er versuchte, es ihr begreiflich zu machen. Er konnte die Wörter einfach nicht richtig aneinanderreihen. Was immer er zu sagen versuchte, es kam verstümmelt heraus, keine Worte, sondern Tierlaute.
Wo war Gunhild? Auf dem Flur hörte er ein Geräusch. Er begann, laute, klagende Töne von sich zu geben. Sie sollte merken, dass es ihm schlechtging. Er brauchte einen Arzt. Eigentlich wollte er nichts anderes als in seinen Wald. Von ihm aus konnte sie ihn dort abladen und liegen lassen, im Wald wollte er sterben, aber nicht hier drinnen.
Er hörte Schritte. Da war Gunhild, ihr Gesicht war ausdruckslos, und sie hatte ein großes Kissen dabei. Das Kissen vor sich haltend, kam sie zielstrebig durch den großen Raum auf ihn zu. Angst ergriff ihn, seine Klagelaute verstummten. Das konnte doch nicht sein? Dann geschah es tatsächlich, das Kissen kam näher, wurde die ganze Welt, presste sich auf sein Gesicht, drückte ihn gegen die Lehne, und während er noch kämpfte, darum kämpfte, den Wald noch einmal zu sehen, noch ein einziges Mal Waldluft zu atmen, überhaupt zu atmen, da wusste er doch, dass es gut war, wenn es nur bitte, bitte schnell vorüberging.
***
Am Samstag früh nahm sich Winter Matthias Olsberg vor. Er versuchte es erst freundlich, dann mit der Brechstange. Nach drei Stunden gab er auf. Als Olsberg merkte, worauf Winter hinauswollte, hatte er die intelligente Taktik gewählt, gar nichts mehr zu sagen. So konnte er sich weder verplappern noch Winter Ansatzpunkte für Schlussfolgerungen liefern. Kaum jemand hielt diese Taktik stundenlang durch. Olsberg schon.
Winter ging von Olsbergs Haftzelle ins Büro anstatt nach Hause. Erstens war er aufgewühlt, wollte noch mal in die Akten sehen, über den Fall nachdenken. Zweitens waren Sara und Felix gemeinsam auf Sprachurlaub in England. Das Schweigen zwischen Carola und ihm fiel ohne die Kinder besonders stark auf und war kaum zu ertragen.
Noch während er die Bürotür aufschloss, hörte er das Telefon klingeln. Er schaffte es rechtzeitig und griff nach dem Hörer.
«Winter.»
Von der anderen Seite begrüßte ihn eine entrüstete laute Stimme mit den Worten: «Sagen Sie mal, was haben Sie sich eigentlich gedacht?»
Es war Sonja Manteufel. «Glauben Sie etwa, ich war so nett, Ihnen Vertrauliches zu verraten, damit Sie danach meinen Mandanten attackieren? Denken Sie bloß nicht, dass ich Ihnen je wieder helfe. Ich hatte Ihnen doch verdammt noch mal gesagt, halten Sie nach jemand anderem Ausschau.»
«So, jetzt hören Sie mal mir zu», brüllte er zurück. «Glauben Sie, ich hab mir Olsberg heute zum Spaß vorgenommen? Wissen Sie überhaupt, worum es hier geht? Ich hab eine Serie mit vier Toten und einem komatösen Schwerverletzten, und ich will verdammt noch mal verhindern, dass noch eine junge Frau aus dem Vogelsberg sterben muss, und dazu muss mir verdammt noch mal Ihr Herr Olsberg sagen, was er weiß. Oder können Sie mir vielleicht sagen, wer die Person ist, der es als Nächstes an den Kragen geht und die ich schützen muss? Dann sagen Sie’s mir, zum Kuckuck, und scheißen Sie auf Ihre Schweigepflicht.»
Er hatte sich in Rage geredet und spürte seine Schlagader am Hals pochen. Manteufel auf der anderen Seite schwieg.
«Sind Sie noch dran?», fragte er schließlich, ruhiger jetzt, und setzte sich.
«Ja», sagte sie auf der anderen Seite, ebenfalls ruhiger. «Ich denke nur nach.»
«Tun Sie das.»
«So. Also, Herr Winter, mir fehlt hier offensichtlich eine Information. Von vier Toten und einem Opfer im Koma weiß ich nichts. Und ganz ehrlich, ich glaube, Sie haben etwas
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