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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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es besorgt. Die männlichen Kollegen aber interessierten sich nur für das Bild des muskelbepackten, schlitzäugigen Waffenträgers. «Des is der Wladimir Preiß, wie er leibt und lebt», verkündete schließlich Glocke, und ausnahmsweise stimmte Ziering ihm zu.
    Winter hatte befürchtet, dass sie das so sehen würden.
    ***
    Es war alles unglaublich schnell gegangen. Weil man im Jugendamt wollte, dass Merle das neue Schuljahr gleich an ihrer künftigen Schule begann, hatte sich Ulli die ganze Woche freigenommen. Ulli und Andrea hatten frecherweise noch vor dem Notartermin die Kinderzimmer ausgestattet, wobei Merle und Wolke selbst tatkräftig mithalfen und ihre Sachen einräumten, die das Heim teilweise in einem Speicher gelagert hatte. Der Laster für Ullis und Andreas Umzug kam einen Tag später, alles etwas teurer als geplant, da sie andere packen und aufbauen ließen. Aber es lohnte sich, weil es so stressfrei war.
    Nun waren sie den dritten vollen Tag mit den Kindern in der neuen Wohnung. Trotz der Kürze der Zeit hatte sich bereits ein Rhythmus eingespielt, ein fröhlicher, lebendiger Alltag, anstrengend, aber erfüllend. Sie hatten nichts verloren, nur gewonnen. Die Abende nach acht hatten sie für sich, da sie die Kinder früh ins Bett brachten und diese das ohne zu murren akzeptierten. Die Mädchen hatten sich für ein gemeinsames Schlafzimmer entschieden, weil Wolke nachts nicht alleine sein wollte. Merle las nach dem Zapfenstreich noch eine Weile im Bett. Gegen halb neun oder neun löschte sie ihr Licht. Wolke schlief dann schon längst. Die Mädchen waren richtig brav, wiewohl man Andrea im Jugendamt gewarnt hatte, dies werde sich noch ändern. Die Kinder würden irgendwann anfangen, die Liebe ihrer neuen Eltern auf die Probe zu stellen, zu testen, wie weit sie gehen konnten. Doch davon war noch nichts zu spüren. Das einzige kleine Problem war Wolkes Bettnässen. Und das würde sich sicher geben, wenn die Kleine das Trauma des Todes ihrer Eltern und der unruhigen Monate danach überwunden hatte. Sie hatten einen Gummibezug auf die Matratze getan und wechselten täglich die Bettwäsche. Ansonsten wurden Wolkes nächtliche Malheurs nicht kommentiert. Andrea liebte gerade die Kleine in ihrer unglaublichen Schutzbedürftigkeit über alles. Und Ulli hatte sich in Merle verliebt, die sie an sich selbst als Kind erinnerte. Ulli war selbst eine große Schwester gewesen und hatte auf ihre kleineren Geschwister aufpassen müssen.
    Andrea konnte sich kaum noch vorstellen, dass sie jemals anders gelebt hatten als mit den Kindern. Wie leer ihr Leben all die Jahre gewesen war, das wusste sie jetzt erst.
    Doch heute hatte es zwei Anrufe betreffs der Mädchen gegeben, die Andrea, wenn sie ehrlich sein wollte, alle beide beunruhigten.
    Der eine kam vom Jugendamt. Die Polizei habe sich gemeldet und wolle Merle ein weiteres Mal zum Tod ihrer Eltern befragen. «Dabei haben sie die Kinder schon zweimal in der Mangel gehabt», berichtete die Sozialarbeiterin indigniert. «Das letzte Mal sollen sie ganz verstört zurückgekommen sein. Der Mord an den Eltern Vogel war Weihnachten. Jetzt haben wir August. Was soll denn die Merle denen jetzt Neues sagen, was sie vorher nicht gesagt hat? Jedenfalls, ich wollte Ihnen mitteilen, dass ich in meiner Funktion als Amtspflegerin für die Kinder vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe. Sollte trotzdem jemand von der Polizei bei Ihnen aufkreuzen, nur, dass Sie’s wissen, die Polizei hat kein Recht, mit den Kindern zu sprechen. Weder mit Merle noch mit Wolke.»
    Andrea fand die Entscheidung der Sozialarbeiterin richtig. Die Kinder waren gerade dabei, zu einem neuen Gleichgewicht zu finden. Sie sollten jetzt nicht an die schrecklichen Ereignisse im letzten Winter erinnert werden. Auch Andrea selbst wollte ehrlich gesagt nicht daran erinnert werden, dass die leiblichen Eltern ihrer beiden Pfleglinge ermordet worden waren. Sie bemühte sich, das Telefonat möglichst schnell wieder zu vergessen.
    Zwei Stunden später brachte das Telefon die nächste Erinnerung an die Vergangenheit der Kinder. Es meldete sich eine ältere Frauenstimme. Sie sei die Oma der Mädchen, stellte sich die Anruferin vor. Sie habe die Nummer vom Jugendamt bekommen. «Wollen Sie die beiden sprechen?», fragte Andrea, schon auf dem Sprung ins Kinderzimmer. «Nein, nein, ganz bestimmt nicht», kam es fast panisch aus dem Hörer. Andrea blieb mitten im langen Flur verwundert stehen, dann ging sie langsam mit dem

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