Schattenhaus
Telefon in der Hand wieder zurück in die Küche. «Ich … das ist nicht gut am Telefon», sagte die Frau auf der anderen Seite. «Ich habe die Kinder lange nicht gesehen. Aber ich würde jetzt gerne einmal bei Ihnen vorbeikommen. Ich habe gedacht, wir können vielleicht einen Termin ausmachen, wann ich die Kinder besuchen kann. Wie ist denn Ihre Adresse?»
Andrea gab die Adresse durch und machte einen Termin für den übernächsten Sonntag. Sie behauptete aber vorsichtshalber, sie müsse das noch mit ihrer Lebensgefährtin absprechen.
Irgendwie war ihr nicht wohl bei der Sache. Aber sie konnte nicht sagen, warum.
***
Matthias Olsberg hatte tatsächlich Sonja Manteufel als Anwältin engagiert. Winter war das sehr recht. Für Freitag bat er Manteufel zu einem Gespräch aufs Präsidium. Das Gespräch hatte von ihm aus gesehen nur ein Ziel: Er wollte Manteufel ausfragen.
Ihr Auftritt war eine kleine Überraschung. Sie sah anders aus, hatte sich einen professionellen Kurzhaarschnitt verpassen lassen, der irgendwie dynamisch wirkte. Wahrscheinlich hatte sie auch etwas abgenommen. Noch immer war ihr Gang wogend-watschelnd, doch er schien nicht mehr ganz so mühevoll. Prophylaktisch schob Winter ihr den breitesten Stuhl im Raum hin, seinen eigenen. Sie ließ sich schnaufend nieder. Es gab ein zischendes Geräusch in der Hydraulik, und die Sitzfläche wankte. Winter fragte sich unwillkürlich, ob ein Stuhl mit vier Beinen nicht doch die bessere Lösung gewesen wäre. Da sagte Manteufel ruppig: «Keine Sorge, der hält.»
Winter lachte. «Damit hatte ich auch gerechnet», log er. War sein Gesichtsausdruck so leicht zu lesen gewesen? Als Polizist sollte er sich eigentlich ein Pokerface angewöhnt haben. Aber er war ja hier nicht im Verhör.
Das erste Gesprächsthema war der Fall Vogel. Winter gab Manteufel die neuen Informationen betreffs Hendrik von Sarnau und der Versicherung, was Manteufel für ihren Mandanten Preiß sehr freute.
«Ich wäre da allerdings vorsichtig», riet Winter. «Theoretisch kann der Preiß ja wirklich das ausführende Organ des Sarnau gewesen sein. Es wäre zwar ein seltsamer Zufall, dass wir ohne jede Ahnung, worum es ging, auf ihn gekommen sind … Jedenfalls, wir haben jetzt ein Indiz, das einige meiner Mitarbeiter so interpretieren, als hätte wirklich der Preiß die Vogels erschossen.» Er erklärte kurz und zeigte der Manteufel dann die Kinderzeichnung mit dem schlitzäugigen gelben Muskelprotz.
Sonja Manteufel lachte lauthals los und konnte gar nicht mehr aufhören. «Ich habe schon bessere Phantombilder gesehen», sagte sie schließlich. Winter grinste. Sie hatte natürlich recht, als Beweismittel vor Gericht taugte das Bild gar nichts. Zumal sie nach der Weigerung des Jugendamts nicht einmal die Möglichkeit hatten, Merle zu befragen, wen oder was sie hatte darstellen wollen. Vielleicht war es eine Gestalt aus dem Fernsehen, eine Animationsfigur. Warum hatte er sich so verunsichern lassen? Weil er fürchtete, die Gründe, deretwegen er vor Monaten den Preiß als Täter ausgeschlossen hatte, seien nicht objektiv gewesen und sein Konflikt mit Kettler hätte ihn irregeleitet. Gut, vielleicht war er nicht ganz objektiv. Aber Glocke war das auch nicht. Abgesehen davon, dass man auf Glockes Urteil noch nie hatte bauen können.
«Themenwechsel», sagte er. «Kommen wir zu Ihrem neuen Klienten, dem Herrn Olsberg. Sie haben ja schon zweimal lange mit ihm gesprochen. Erzählen Sie mir doch mal, worum es da ging.»
Manteufel sah ihn ernst an. «Das kann ich nicht, das wissen Sie.»
Winter zog die Brauen hoch. «Eine Hand wäscht die andere», sagte er. «Sie werden mir doch zumindest was andeuten können.»
Manteufel protestierte erst mal weiter. «Lieber Herr Winter, ich bin nun dank Ihnen Strafverteidigerin geworden. Dann muss ich mich jetzt aber auch an die Regeln halten. Ich darf Ihnen natürlich nicht sagen, was Herr Olsberg mit mir besprochen hat. Nur so viel kann ich Ihnen verraten: Herr Olsberg hat mir Dinge erzählt, die ich am liebsten gar nicht wissen würde und die es mir schwerfällt, für mich zu behalten.»
«Mit anderen Worten, Ihr Mandant ist schuldig. Sie brauchen das jetzt nicht zu kommentieren.»
«Sie haben mich völlig missverstanden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Mandant unschuldig ist, jedenfalls an dem Tod von Birthe Feldkamp. Wobei ich nicht weiß, ob ich alles glauben kann, was er mir erzählt. Aber ganz erfunden hat er die Geschichte sicher nicht.
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