Schattenhaus
Falls es stimmt, was er sagt, dann hat Herr Olsberg Frau Feldkamp nicht vergiftet.»
«Ihr Tod war also ein Unfall?»
«So kann man das auch nicht direkt sagen.»
Winter verdrehte die Augen.
Sie seufzte, kämpfte mit sich. «Alles, was ich sage, bleibt unter uns?», fragte sie schließlich.
«Ja, natürlich.»
«Gut. Also, nach dem Wissen, das ich von Herrn Olsberg habe, ist eine gezielte Vergiftung sehr wahrscheinlich. Wobei Herr Olsberg allerdings denkt, dass es nicht unbedingt Frau Feldkamp war, die getötet werden sollte. Sondern eher er selbst.»
Winter stöhnte. «Und das glauben Sie? Der hat Sie ja schön eingewickelt. Ein charmanter Bursche, der Olsberg, ich weiß.»
Sie lächelte. «Das Problem ist mir bewusst. Ich denke trotzdem, dass Herr Olsberg mir im Großen und Ganzen die Wahrheit gesagt hat. Ich habe das sogar noch mit einem professionellen Test auf Wahrheit von Aussagen überprüft. Dieselbe Art von Test, die bei Glaubwürdigkeitsgutachten verwendet wird.»
«Auf solche postmodernen Pseudowissenschaften verlasse ich mich nicht. Wenn es stimmt, was er sagt, und es ihn entlastet, warum erzählt der Olsberg eigentlich seine Märchen Ihnen und nicht uns?»
«Sehen Sie, Herr Winter, genau das kann ich Ihnen nicht sagen.»
«Weil dabei rauskommen würde, dass Olsberg ein anderes Verbrechen begangen hat?»
«Dazu kann ich nichts sagen. Lieber Herr Winter, wollen Sie einen Tipp von mir?»
«Ja, bitte.»
«Wenn ich Sie wäre – ich würde Matthias Olsberg vergessen. Sie sollten nach anderen Personen im Umfeld von Birthe Feldkamp suchen, die Gelegenheit gehabt hätten, ihr Giftpilze ins Essen zu mischen.»
Winter atmete tief durch. «Sie meinen Personen, die wir jetzt noch gar nicht auf dem Radar haben?»
«Dazu kann ich nichts sagen.»
«Okay. Danke. Das macht meine Arbeit nicht gerade einfacher. Aber ich werde die Augen offen halten.»
Fock brauchte er damit nicht zu kommen. Wegen der unter vier Augen gemachten Aussage der Anwältin eines Tatverdächtigen den Ermittlungsfokus ändern? Unmöglich. Frau Manteufel war Partei. Sie half ihrem Mandanten, wenn sie die Polizei von ihm ablenkte. Das war natürlich genau der Grund, warum sie ihm den Tipp überhaupt hatte geben dürfen.
Warum Winter gerade dieser Anwältin vertraute, konnte er Fock unmöglich verraten.
Erst eine halbe Stunde später schwante ihm plötzlich, warum Olsberg nicht redete. Ganovenehre. Olsberg schützte jemanden. Es passte perfekt zu ihm, dass er den Täter zwar kannte, aber nicht verriet. Allerdings, so wie Winter Olsberg einschätzte, musste es jemand sein, mit dem ihn eine persönliche Loyalität verband. Wer konnte das sein? Jemand, mit dem er zusammen im Gefängnis gewesen war? Hatte Birthe Feldkamp noch zu weiteren Gefangenen Kontakt gepflegt?
Kurz entschlossen rief Winter Fock an. Fock war auf dem Weg ins Wochenende. Winter hielt es kurz. «Chef, die Indizien verdichten sich, wir betrachten das Haus von Birthe Feldkamp jetzt definitiv als Tatort. Ich würde gerne eine Durchsuchung machen, und zwar, bevor wir Olsberg am Montag nach dem Haftprüfungstermin womöglich laufen lassen müssen.»
Fock grummelte kurz, aber stimmte zu. Die Durchsuchung wurde auf Montag früh terminiert.
Als Winter aufgelegt hatte, wusste er, womit er sein Wochenende verbringen würde: Er würde sich Olsberg vorknöpfen, versuchen, ihn auf die eine oder andere Weise zum Reden zu bringen. Wenn Manteufel recht hatte und Olsberg tatsächlich nicht der Schuldige war, so stieg die Wahrscheinlichkeit wieder, dass alle drei Taten zusammenhingen. Dann hatten sie es hier mit jemandem zu tun, der ehemals das Gymnasium in Lauterbach besucht hatte und der es aus Gründen, die nur er verstand, auf ehemalige Mitschülerinnen abgesehen hatte. Der Besuch des Lauterbacher Gymnasiums war das Einzige, was alle drei weiblichen Opfer verband, neben einem Alter zwischen neunundzwanzig und fünfunddreißig Jahren. Dass die getöteten oder verletzten Männer nur Kollateralschäden waren, hatte Winter von Anfang an vermutet. Falls Olsberg seinen Teller Pilze gegessen hätte, wäre auch er zum Kollateralschaden geworden – aber der Täter hatte ihn anscheinend gewarnt.
Der Verrückte konnte jederzeit wieder zuschlagen. Winter musste ihm zuvorkommen.
Er schrieb noch rasch eine Mail an den Leiter der Jugendstrafanstalt in Wiesbaden, wo Olsberg die meiste Zeit über eingesessen hatte. Der Leiter sollte ihm eine Liste aller Gefangenen der vorangegangenen fünf
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