Schattenhaus
Winter, Kripo Frankfurt. Sie hatten mir doch versprochen, bei Freunden herumzufragen und eine Liste zusammenzustellen von ehemaligen Schülerinnen des Lauterbacher Gymnasiums, die heute in Frankfurt leben. Sind Sie da weitergekommen?»
«Nicht besonders. Ich hab alle Stufenkameraden angemailt, deren Adressen ich hatte. Von den Frauen, die mir geantwortet haben, ist keine in Frankfurt. Eigentlich habe ich bloß einen Namen für Sie. Ein Bekannter hat einen Bekannten, dessen ältere Schwester in Frankfurt lebt.»
«Und wie heißt die Frau?»
«Da muss ich nachsehen, Moment … Okay, jetzt hab ich’s. Andrea Vogel.»
«Andrea Vogel?» Winter staunte. «Ist sie irgendwie mit Sabrina Vogels Mann verwandt oder verschwägert?»
«Nicht dass ich wüsste. Vogel ist deren Geburtsname. Das ist halt eine Lauterbacher Familie Vogel. Ich glaube, das ist bloß eine zufällige Namensgleichheit mit Sabrinas Mann. Der Name Vogel ist ja nicht gerade selten. Aber das müssen Sie schon selber überprüfen.»
«Haben Sie eine Adresse von der Frau?»
«Bloß eine Handynummer.» Er gab sie durch.
Winter rief direkt danach die Nummer an. Er bekam die Mailbox und richtete aus, Frau Vogel möge sich unter der Nummer soundso schnellstens mit der Kripo in Verbindung setzen.
***
Ulli hatte ihre zwanzig Bahnen geschwommen. Jetzt fror sie etwas, hatte sich ein Sweatshirt übergezogen und sah vom Rand aus zu, wie Andrea im Kinderbecken des Rebstockbades planschte. Andreas kinnlange, helle Haare waren durch die Feuchtigkeit dunkler, und sie hatte sie hinter die Ohren geschoben; ihr Gesicht war nass und gerötet und strahlte vor Lebensfreude. Sie hielt Wolke, die mit Schwimmflügeln ausgerüstet war, mit beiden Armen vor ihrer Brust. Merle, ein Stück weiter links, trug ebenfalls gelbe Flügel und hielt sich an einem Schwimmbrett fest. Sie versuchte sich mit Schwimmübungen im Hundepaddelstil, den sie schon gut beherrschte. Immer wieder sah sie zu Ulli herüber, die ihre Künste mit lobenden, aufmunternden Blicken bedachte. Nächste Woche würde sie anfangen, ihr Brustschwimmen beizubringen.
Andrea mit Wolke in den Armen sah unglaublich mütterlich aus, und das hellhaarige, rotwangige Mädchen absolut wie ihre Tochter. Ulli bemerkte, dass ein am Beckenrand stehender Mann Andrea intensiv musterte. Wahrscheinlich wünschte er sich, eine so lebendige, hübsche Frau zu haben wie sie.
Als sie alle schließlich in der Garderobe ihre Sachen holten und Andrea ihre Mailbox prüfte, warf sie Ulli einen vielsagenden Blick zu. «Nachricht von der Kripo», raunte sie, als die Mädchen kurz abgelenkt waren. «Ich soll sofort zurückrufen. Das ist ja wohl die Oberfrechheit.»
Ulli fand auch, dass es frech war. Die Polizei wusste genau, dass das Jugendamt der Kripo nicht erlaubt hatte, mit den Kindern zu reden. Und jetzt versuchten sie es einfach am Wochenende direkt, in der Hoffnung wahrscheinlich, dass Andrea vom Jugendamt noch nicht informiert war.
«Am besten, du rufst gar nicht erst zurück», entschied Ulli.
«Natürlich nicht», verkündete Andrea. «Ich bin doch nicht blöd.»
***
Winter war sich nicht sicher, was ihn trieb, danach noch Hilal Aksoy anzurufen. Rein dienstlich, redete er sich ein. Hatte sie ihn nicht letztes Jahr ebenfalls an einem Wochenende zu Hause angerufen, um sich zu einem Gespräch mit ihm zu verabreden? War das nicht eine ganz ähnliche Situation gewesen? Doch als er die Wähltaste drückte, sagte ihm sein klopfendes Herz, dass er mit dem Feuer spielte.
Sie ging dran. Von der Geräuschkulisse her war sie irgendwo draußen und in Gesellschaft. Er war sofort enttäuscht. (Was hatte er denn erwartet?) Sie fragte, ob etwas passiert sei, fürchtete offensichtlich, aus dem Wochenende geholt zu werden. «Nein, überhaupt nichts», sagte Winter. «Ich wollte dich bloß fragen, ob du heute oder morgen eine Stunde Zeit hättest, mit mir den Fall durchzusprechen. Ich hänge irgendwie fest.»
Eine kurze Pause. Eine Kinderstimme sagte etwas, Aksoy antwortete: «Ja, geh schon.» Dann: «Andi? Kann ich dich später noch mal anrufen, so gegen fünf oder sechs? Ich weiß jetzt noch nicht, wann wir zu Hause sein werden.»
«Okay, natürlich», sagte er. «Wo bist du gerade?»
«Wiesbaden. Schloss Freudenberg.»
Da gab es ein Museum der Sinne oder so ähnlich. Vielleicht sollte er mit Carola auch mal dorthin, statt sich an einem schönen Spätsommerwochenende ins Büro zu flüchten und Hilal Aksoy hinterherzuschmachten. Doch die
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