Schattenhaus
Er möge bitte zum darauffolgenden Tag wieder bei der Arbeit erscheinen.
Natürlich wartete Winter nicht bis zum nächsten Tag, sondern fuhr sofort hin, nachdem er den Brief gelesen hatte. In seinem Büro traf er Kettler an, der erstaunt aussah und dann so tat, als wisse er von gar nichts. Winter stellte keine weiteren Fragen und suchte die anderen. Im Flur kam ihm Arno Ziering entgegen. Der grinste. «Schon wieder da. Na Gott sei Dank. Mich hatte Fock doch tatsächlich gefragt, ob du Olsbergs Schuld vertuschen wolltest. Das hab ich natürlich abgestritten. Hilal Aksoy hat bestätigt, dass du selbst es warst, der den Verdacht gegen Olsberg überhaupt aufgebracht hat.»
«Wie ist das denn weitergegangen mit Olsberg? Was hat die Merle erzählt?»
«Hilal hat sie befragt. Problematische Aussage. Merle sagt, sie hätte Angst vor Olsberg gehabt, weil er einen ‹Kitzel-Dämon› hatte, und er hätte die Birthe gekitzelt und ihr weh getan. Und sie hätte er beim Baden ‹ein ganz bisschen› gekitzelt. Vielleicht hat Olsberg wirklich nichts weiter gemacht, als sie abzutrocknen und mit Birthe Feldkamp zu schlafen, aber ein Staatsanwalt oder ein Bewährungsrichter können ihm trotzdem einen Strick drehen. Du weißt ja, wie hysterisch heutzutage alles mit sexuellem Missbrauch gesehen wird. Dummerweise wirst du dich jetzt nicht mehr für Olsberg einsetzen können. Sonst verbrennst du dir die Finger. – Anderes Thema, stell dir vor, Heinz Glocke war vorgestern länger bei Fock. Und soweit ich es aus Heinz rausbekommen konnte, hat er wohl Fock gesagt, er könne sich jetzt doch nicht mehr so gut erinnern an irgendeine alte Sache, mit der er dich angeschwärzt hatte. Und ich soll es auf keinen Fall Sven Kettler verraten. Eine richtige Operette ist das hier.»
Winter verdrängte fürs Erste die Olsberg-Geschichte und grinste erleichtert. Tatsächlich! Glocke hatte ein Einsehen gehabt. Aus welchen Gründen auch immer. Winter beschloss, das nicht zu hinterfragen. Wenn er weiter die MK 1 leiten wollte, würde er mit dem Kollegen auch künftig gut zusammenarbeiten müssen. Er ging die paar Schritte zu Glockes Büro. «Respekt, Heinz», sagte er und streckte ihm die Hand entgegen. Glocke schüttelte sie. Er sah erleichtert aus, aber er blickte Winter nicht in die Augen.
***
Eine halbe Stunde später saß Winter bei Fock.
«Je nun», sagte dieser, die Fingerspitzen aneinandergelehnt. «Mir war ja klar, dass es hier nur um Eifersüchteleien unter Kollegen geht und dass Sie eigentlich ein verlässlicher Mann sind. Aber ich muss ja reagieren, wenn ich Beschwerden bekomme, nicht wahr? Zumal in der Ermittlung so vieles schiefgelaufen ist … Das muss man ja vor der Presse irgendwie begründen.»
«Und da kam ich als Sündenbock gerade recht», kommentierte Winter trocken.
«Je nun, so habe ich es nicht gemeint. Jedenfalls, Winter, verstehen Sie mich nicht falsch. Sie sind natürlich rehabilitiert. Ich halte es aber für besser, was den Frieden in der MK 1 betrifft, und auch gegenüber der Öffentlichkeit, wenn Sie erst einmal nicht an Ihren alten Job zurückkehren. Nun schauen Sie nicht so böse drein, es ist ja nur für die nächste Zeit. Lassen wir den Kettler mal alleine wurschteln, und sehen wir, ob er sich bewährt … Und wenn nicht, nun, dann sehen wir weiter. Jedenfalls, ich hätte da nämlich unterdessen einen Vorschlag an Sie, eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Ich glaube, dass Sie tatsächlich der richtige Mann dafür wären.»
Winter lehnte sich zurück. Er fühlte sich mit einem Mal unendlich schwer. Er hätte wissen müssen, dass Kettlers Intrigen nicht folgenlos bleiben würden. Dass nichts mehr so sein würde wie zuvor. Resigniert hörte er sich Focks «Vorschlag» an. Der «Vorschlag» – in Wahrheit war es natürlich ein Beschluss – war eine Zumutung. Fock wusste es und verströmte geradezu riechbar schlechtes Gewissen.
In Winter war die Entscheidung gereift, ohne dass er richtig wusste wie. «Ich mache das», sagte er, «aber nur unter einer Bedingung: Ich brauche zwei Mitarbeiter, die ich für externe Aufgaben einsetzen kann und die, wann immer ich sie brauche, von anderen Aufgaben freigestellt werden.»
«Gut. Genehmigt. Wen wollen Sie?»
«Arno Ziering», sagte Winter. Das war der selbständigste Mitarbeiter der MK 1 . Glocke und Leibold brauchten beide aus unterschiedlichen Gründen gute Führung; sollte Kettler doch sehen, ob ihm das gelang.
«Und der zweite Mitarbeiter?»
«Hilal
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