Schattenhaus
abgebrochen, weil wir uns einfach weigerten weiterzumachen. Klasse acht oder neun muss das gewesen sein. So was hat Sabrina öfter erlebt.»
«Und ich dachte, in Gymnasien auf dem Lande sei die Welt noch in Ordnung.»
«Willkommen in der Realität. Mobbing hat es immer schon gegeben.»
«Hat sich Sabrina jemals zu rächen versucht?»
«Nicht dass ich wüsste. Sie hat das alles stoisch ertragen. Hat sich auch nicht entmutigen lassen, hat immer wieder versucht, Anschluss zu finden und sich einzubringen. Ich hab das damals nicht so gesehen, im Gegenteil. Aber aus heutiger Sicht, Hut ab, sie muss sehr stark gewesen sein. In der Oberstufe war sie dann übrigens gut befreundet mit einem Mädchen, vor dem die meisten Respekt hatten –»
«Eine Janine?»
«Genau. Da ließ das direkte Hänseln etwas nach. Wir waren ja auch älter und ein bisschen reifer. Viel gelästert über Sabrina wurde trotzdem.»
«Gab es einen Grund, warum dieses Mobbing überhaupt anfing? Hatte sie irgendjemandem was getan?»
«Davon weiß ich nichts. Ich glaube, sie war einfach der Typ, der sich anbot. Sie war irgendwie ein bisschen seltsam. Etwas abgedreht. Pflegte merkwürdige Interessen. Zog sich unmodisch an. Die aus demselben Dorf kamen, erzählten, ihre Eltern seien uralt und verschroben, und ich glaube, es gab da irgendeinen Skandal. Dass die Eltern in Wahrheit Geschwister waren oder der Vater Bigamist oder irgend so was.»
«Sie sind ganz sicher, dass Sabrina nicht in letzter Zeit versucht hat, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen?»
«Wie meinen Sie das? Auf meinem Anrufbeantworter war sie nicht, eine Mail hab ich auch nicht bekommen. Ich wüsste echt nicht, warum sie mich kontaktieren sollte. Ich war in der Schulzeit leider auch nicht besonders nett zu ihr.»
«Okay, vielen Dank, Frau Feldkamp. Sie haben uns sehr geholfen.»
«Danke zurück. Man hat ja selten so einen netten Kommissar zu Besuch.» Auf Birthe Feldkamps sommersprossigem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus.
Flirtet sie mit mir?, überlegte Winter. Er hätte zu gerne gewusst, wie dreißigjährige Frauen ihn sahen.
«Und übrigens, Frau Feldkamp» – er stand auf –, «Sie wohnen hier sehr einsam. Und diese Terrassenfenster, die Sie da haben, die sind eine echte Einladung für Einbrecher. Ich will Ihnen ja keine Angst machen. Aber die Sabrina Vogel wohnte auch in einem Einfamilienhaus in Feldrandlage. Und dann brach jemand ein und hat sie erschossen. Also, lassen Sie sich mal beraten und machen Sie eine anständige Sicherung an die Fenster.»
***
Als der Polizist draußen war, merkte Birthe, dass ihr kalt geworden war. Der Blick durch die bodentiefen Fenster nach Norden in die Weite, sonst so entspannend, bot keine Beruhigung. Gab es da draußen irgendwo einen Verrückten, einen ehemaligen Klassenkameraden vielleicht, der es nach Sabrina nun auf sie abgesehen hatte?
Doch die Gefahr, die ihr seit gestern schon ein mulmiges Gefühl bescherte, die kam nicht gesichtslos aus dem Nichts.
Birthe war gestern bei der Bewährungshilfe hinter dem Eschenheimer Turm gewesen, schräg gegenüber vom ehemaligen Volksbildungsheim. Dort lief es besser als erwartet. Birthe wurde ohne großes Aufhebens zu Matthias’ Bewährungshelferin vorgelassen, einer Frau Mitte, Ende dreißig. Birthe hätte schwören können, dass die Bewährungshelferin auf Matthias scharf war. Sie sah Birthe fast eifersüchtig an, als die sich mit den Worten vorstellte, sie sei eine Freundin von Matthias Olsberg. Dann war Birthe mit ihrem Anliegen rausgerückt. Möglichst würdevoll hatte sie erklärt, sie habe ein Haus für sich allein und massig Platz, es gebe auch zwei Bäder, und sie wolle zu Protokoll geben, sie wäre bereit, Matthias nach seiner Entlassung gegen eine eher bescheidene Miete aufzunehmen. Von Miete sprach sie eigentlich nur, weil ihr alles andere vor der Frau peinlich gewesen wäre. Außerdem, zahlte die Miete nicht sowieso das Sozialamt? Oder das BA föG-Amt? Oder wer auch immer Matthias demnächst finanzieren würde.
«Super», war die Reaktion der Bewährungshelferin. «Das kommt dem Klienten sicher sehr gelegen. In solchen Fällen ist die Wohnungssuche meist alles andere als leicht. Ist dem Herrn Olsberg noch nicht klar, aber er wird es merken.» Sie notierte eifrig Birthes Adresse. «Ach ja, Sie sind die Brieffreundin, nicht?»
«Ja.»
«Mutig, mutig», hatte die Bewährungshelferin daraufhin gesagt, mit einem Unterton, der nichts Gutes verhieß.
Birthe hatte keine
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