Schattenhaus
Ahnung, was eigentlich Matthias’ Delikt gewesen war. Sie hatte gleich in ihrem ersten Brief an ihn geschrieben:
Ich will nicht wissen, was du getan hast. Du sollst bei mir neu anfangen können, ohne Belastung durch Vorurteile.
Dies schien ihm sehr recht zu sein. Also hatten sie nie darüber gesprochen. Sie wusste bloß, dass er ungefähr sechs Jahre gesessen hatte, für eine Jugendstrafe nicht gerade wenig. Er sei jetzt ein anderer als vor der Haft, hatte er einmal gesagt.
«Übrigens, Frau, äh, Feldkamp», begann die Bewährungshelferin, als Birthe schon in der Tür stand. «Ist vielleicht etwas eigentümlich, dass ich als Bewährungshelferin das sage. Aber ich würde mich vorsehen. Nicht zu vertrauensselig sein. Ganz ehrlich, den Herrn Olsberg durchschaue ich nicht.»
Danach war Birthe erstmals der Gedanke gekommen, Matthias könnte ein Frauenmörder sein. Und jetzt, nachdem sie das über Sabrina gehört hatte … Aber es war doch gänzlich unmöglich, dass Matthias etwas damit zu tun hatte? Schlagartig fiel ihr dummerweise nun ein, dass er seit Monaten Freigang hatte. Also konnte er theoretisch wirklich Sabrina … Aber nein, das war absurd. Es wäre zu viel des Zufalls, dass es dann ausgerechnet eine Klassenkameradin von ihr traf.
Birthe schaute wieder nach draußen. Allmählich wurde sie ruhiger. Der Polizist hatte ja auch nicht davon gesprochen, dass Sabrina vergewaltigt worden war. Nein, ein Sexmord war das nicht gewesen. Es drehte sich da um was ganz anderes.
Sie atmete durch, öffnete die Terrassentür und ließ Luft herein.
***
Anders als viele glaubten, ließ sich meist nicht feststellen, aus welcher Waffe ein Geschoss abgefeuert worden war. Doch in diesem Fall könne man es sehr wohl sehen, befand der Ballistiker. Die beim Mord an den Vogels verschossenen Patronen wie auch jene, die in der blauen Tür stecken geblieben waren, zeigten unter dem Mikroskop eine leichte Längsschramme, die für eine Unregelmäßigkeit im Lauf spreche. Diese Unregelmäßigkeit fand sich jedoch bei dem Revolver aus dem Haushalt von Sabrina Vogels Eltern nicht wieder. Die mit der Pfister’schen Waffe zu Probezwecken verschossenen Patronen kamen alle makellos heraus. Und frische Schmauchspuren, die auf eine kürzliche Verwendung der Waffe schließen ließen, hatten sich ebenfalls nicht gefunden.
Winter war wie vor den Kopf gestoßen. Damit hatte er nicht gerechnet. Seine Position gegenüber Sven Kettler schwächte das extrem.
Es war vier Uhr nachmittags, als er die schlechte Nachricht hörte. Um fünf sollte er bei Fock vorsprechen. Also blieb ihm noch genau eine Stunde Zeit, einen Grund zu finden, mit dem er Fock überzeugen konnte, die Ermittlungen weiterzuführen.
Winter gab sich einen Ruck. Er entschloss sich, das Unmögliche zu versuchen: auf die Schnelle den geheimnisvollen Freund Sabrina Vogels aufzuspüren, den sie laut der kleinen Merle besaß und der angeblich von einem anderen Planeten kam.
Natürlich hatte Winter längst im Internet unter «Sumati» oder «Sumaty» gesucht, wie der Geheimnisvolle nach Merles Angaben heißen sollte. Und natürlich war dabei nichts Hilfreiches herausgekommen. In dem selten benutzten Mailkonto von Sabrina Vogel gab es keinerlei Kontakt zu einem Mann, erst recht nicht zu einem, der sich Sumati nannte. Anzeichen für die Existenz weiterer Mailkonten hatte der Rechner laut Steffen Leibold ebenfalls nicht hergegeben.
Von der KT aus machte sich Winter geradewegs zu Leibold auf.
«Sag mal, Steffen, hast du den Rechner der Vogels noch hier?»
«Ja. Da isser.» Der Rechner war sogar an. Leibold war berüchtigt dafür, dass er Computer grundsätzlich nicht ausschaltete, auch übers Wochenende nicht. Sein Büro war eine mit Computertischen vollgestellte, fensterlose und unbelüftete Kammer, die eigentlich als Abstellraum gedacht war. Hier zu arbeiten war Leibold lieber, als ein reguläres Büro mit jemand anderem teilen zu müssen. Winter hatte sich dafür eingesetzt, dem Computerfreak seinen Spleen zu lassen.
«Ich muss da mal ran», verkündete Winter jetzt. Einen zweiten Stuhl gab es nicht, er versuchte es im Stehen. Im Startmenü fiel ihm der Begriff «Doom» ins Auge.
«Dieses ‹Doom› hier, ist das nicht so ein Killerspiel?», fragte er Leibold.
Der zuckte die Schultern. «Wenn du’s so nennen willst. Ich hab das auch zu Hause. Ist einfach ein gutes Spiel. Es kommt auch bestimmt niemand auf die Idee, das mit der Realität zu verwechseln. Spielt auf dem Mars
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