Schattenhaus
dem, was dich erwartet. Damit du entscheiden kannst, ob du wirklich dorthin willst. Wie hat es dir gefallen?
Username: Sabrina81
Es ist wunderschön dort. Ich bin noch ganz erfüllt davon. Ja, Sumathi, ich will.
Winter stöhnte. Was sollte denn das? Worum ging es hier? Betrieben die beiden gemeinsam eine Art Fantasy-Rollenspiel?
Notgedrungen klickte er sich nach und nach zur allerersten Seite des ewig langen Threads, obwohl es wahrscheinlich sinnlos war, und begann von vorne zu lesen.
Und vergaß darüber, dass er um fünf Uhr mit Fock verabredet war.
***
Zur gleichen Zeit stand der angehende Archäologe André Bründl in einem Kellerraum des alten IG -Farben-Hauses, in dem heute viele Institute der Frankfurter Uni untergebracht waren. Die teure, komplizierte Maschine, an der Bründl sich zu schaffen machte, war ein Beschleuniger-Massenspektrometer, ein lindwurmartiges, aus vielen hintereinandergeschalteten Teilen bestehendes Gerät, mit dem sich seltene Isotope in einem Stück Materie aufspüren und zählen ließen.
Ursprünglich hatte das Monstrum bei den Physikern gestanden. Aber Professor Grafton, der Popstar der deutschen Archäologie und zugleich Andrés Chef, hatte dafür gesorgt, dass die Kiste exklusiv den Archäologen zur Verfügung gestellt wurde.
Alte Knochen, Pollen, organische Stoffe jeder Art konnte das Monstrum daraufhin untersuchen, wie viel radioaktiver Kohlenstoff darin enthalten war. Je älter der Fetzen organisches Material, desto weniger C- 14 enthielt er. Das sagten unmissverständlich die Gesetze der Physik. Auf das Jahr genau konnte man das Alter etwa eines ausgegrabenen Menschenschädels zwar nicht schätzen. Dazu reichte die Messgenauigkeit selbst des besten Spektrometers nicht. Aber ziemlich nahe kam man den wahren Daten schon. Jedenfalls nahe genug, um zu wissen, ob man ein Mordopfer aus jüngerer Zeit oder eine mittelalterliche Leiche vor sich hatte.
André Bründl war ein externer Doktorand, der nicht zum engsten Kreis des berühmten Professors Grafton gehörte. Er hatte kämpfen müssen, bis ihm Zugang zu dem kostbaren Gerät gewährt wurde, und er hatte keinerlei Hilfe Graftons beim Bedienen erhalten. André vermutete, dass der Professor sein Hightech-Monster hauptsächlich zu einem Zweck benutzte: Gegen Geld überprüfte er für die Kirche Heiligenknochen und dergleichen auf Alter und Echtheit. Institutsintern munkelte man, dass Grafton gelegentlich Gefälligkeitsgutachten erstellte und Reliquienknochen als alt datierte, obwohl sie es nicht waren, um die Aufträge aus katholischen Kreisen am Laufen zu halten.
André kannte sich zum Glück mit Radiokarbondatierungen ganz gut aus. Doch er war nicht wegen einer Reliquie im Keller. Er hatte eigenes Fundmaterial mitgebracht. Menschliche Knochen, die inmitten steinzeitlicher Überreste an einer Straßenbaustelle bei Cottbus zutage getreten waren. Sofort, als er vor zwei Jahren von den Baustellenfunden hörte, hatte er sich als unbezahlter Freiwilliger gemeldet. André hatte Erfahrung aus Praktika, und da der brandenburgische Landeskonservator nicht abkömmlich war, hatte man ihm gleich die Leitung der Ausgrabung übertragen, ein großes Glück für einen jungen Archäologen. Es war eine Bergungsgrabung gewesen. André und ein paar ebenfalls unbezahlte Laienhelfer hatten die steinzeitlichen Siedlungsüberreste vor den Baggerschaufeln retten müssen, die sich immer weiter ins Gelände gruben. Drei Wochen hatten sie gearbeitet wie die Berserker, bei Kälte, Regen und Dunkelheit, um möglichst viele Urzeitrelikte zu bergen, nachts bei Flutlicht, das der FC Energie Cottbus zur Verfügung stellte. André Bründl hatte niemals härtere drei Wochen erlebt. Aber er war stolz auf das, was sie erreicht hatten.
Diese Ausgrabung war die Basis seiner Doktorarbeit, die er fast fertiggestellt hatte. Jetzt hatte er nur noch die Kür vor sich, die sein Werk perfekt machen sollte, eines
summa cum laude
würdig: Er wollte die Fundstätte datieren. Im Groben wusste man natürlich, aus welcher Zeit die primitive Siedlung stammte. Sie hatten Tonscherben der Rautenkeramik gefunden. Das Alter der Rautenkeramikkultur war ungefähr bekannt. Andrés Chef Professor Grafton höchstselbst hatte Anfang der neunziger Jahre diese ostelbische Steinzeitkultur erstmals wissenschaftlich datiert. Graftons Datierung war eine Sensation gewesen – die erste von mehreren, mit denen der Brite zur Koryphäe der deutschen Archäologie aufgestiegen war. Die
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