Schattenhaus
entsinne.»
«Bis auf die Tatsache, dass ich keine Zulassung habe», lächelte sie. «Aber die kann ich mir besorgen. Immerhin bin ich Volljuristin mit zwei Prädikatsexamen.»
Winter verstand gar nichts mehr. «Haben Sie nicht letztes Jahr gesagt, Sie seien in der Kanzlei Ihres Mannes tätig?»
«Er hatte mich kurzfristig als Praktikantin eingestellt, bloß für diesen einen Fall. Hasso Manteufel ist übrigens nicht mein Mann, sondern mein Exmann.»
Aha. Das war etwas besser nachzuvollziehen.
«Und wo arbeiten Sie sonst?», fragte er. «Richterin?»
«Das war einmal. Ich bin arbeitslos.»
Er staunte. «Arbeitslos? Mit zwei Prädikatsexamen?»
«Das ist eine lange Geschichte, Herr Winter. Glauben Sie mir, die wollen Sie gar nicht hören.»
Winter kamen ominöse Gedanken. Mit einem Mal sah er sich selbst geschieden und arbeitslos in einer kleinen Wohnung sitzen, mit einer langen, traurigen Geschichte, die niemand hören wollte. So etwas konnte schneller gehen, als man dachte, das war ihm in den letzten Tagen klargeworden. Man stand eigentlich immer nur wenige Schritte vom Abgrund entfernt. Nur sah man den normalerweise nicht. Sonja Manteufel lächelte wieder, als ob sie ahnte, was in ihm vorging.
«Erzählen Sie mir lieber von dem Fall», sagte sie und legte sich einen Notizblock auf die dicken Knie. «Ich bin extrem neugierig.»
Winter zählte die Fakten zur Tat auf, skizzierte die Personen und Lebensverhältnisse der Familie Vogel, erklärte Kettlers These zum Täter und warum er sie für falsch hielt. Zu dem Esoterikforum kam er ganz am Schluss. «Was ich da gefunden habe, kann ich selbst kaum glauben», berichtete er. «Ich erzähle es Ihnen ausführlich, damit Sie es besser nachvollziehen können. Dieser Mann, der sich Sumathi nennt, behauptet, dass er von einem fremden Planeten im Sternbild Wassermann namens Ananda kommt und als Botschafter der dortigen Zivilisation eine Mission auf der Erde zu erfüllen hat. Und zwar sei es seine Aufgabe, jemanden auf der Erde zu finden, der bereit ist, mit ihm nach Ananda zurückzukehren. Dafür seien nur besonders wertvolle Menschen mit medialer Begabung geeignet. Er redet der Frau Vogel ein, gerade sie sei so ein besonderer Mensch. Er habe das schon immer gewusst. Deshalb habe er ‹damals› mit ihr geschlafen, um sie mit irgendeinem besonderen Stoff zu imprägnieren, der einige Jahre auf die Seele einwirken muss, um sie für die Reise vorzubereiten. Sabrina Vogel hat also mit diesem ‹Sumathi› mindestens einmal Sex gehabt, und es hörte sich so an, als sei das Jahre her, vor ihrer Ehe. Und damals hat er sich wohl noch nicht als ‹Anandaner› ausgegeben. Nachdem sie schließlich im Forum Interesse daran zeigt, mit ihm auf den fremden Planeten zu gehen, erklärt er ihr, die Entfernung von der Erde nach Ananda würde siebentausend Lichtjahre betragen. Sie sei für einen materiellen Körper nicht zu überwinden. Aber seine Zivilisation habe eine Technik namens Seelenportation entwickelt. Wenn sie wolle, könne sie reisen, und zwar innerhalb des nächsten halben Jahres, das sei das vorgesehene Zeitfenster, in dem ein sogenannter Port offen sei. Auf Ananda würde dann ein neuer Körper für sie bereitstehen, der ihrer Seele angemessen sei, so ähnlich wie ihr irdischer, nur eben ‹anandanisch›. Die Reise selbst würde zwei Stunden dauern, und sie werde sich in dieser Zeit psychisch enorm weiterentwickeln und neue Kräfte erhalten. Sie müsse dafür nur ihre Seele aus dem irdischen Körper befreien, sprich, sie müsse sterben. Damit sie auf Ananda angemessen leben könne, brauche sie Geld. Sie kenne sich ja dort nicht gut genug aus, um einer Arbeit nachzugehen. Er, also dieser Sumathi, könne als Botschafter irdisches Geld unter ihrem Namen in anandanische Währung eintauschen, und als Begrüßungsgeschenk würde es dann auf Ananda vervierfacht. Er empfehle ihr, eine möglichst hohe Lebensversicherung auf seinen Namen abzuschließen, das sei das Einfachste. Er werde die Summe dann zum Zeitpunkt ihrer Reise sofort transferieren. Wenn sie das alles wolle, würde er ihr zu einem raschen Tod verhelfen. Das Wort Tod verwendet er aber nicht. Er spricht immer von Befreiung der Seele aus dem irdischen Körper, der ihre Seele beschränken würde, obwohl sie eigentlich zu viel mehr fähig sei.
Zweimal in den beiden Monaten vor Frau Vogels Tod verabreden sich die beiden persönlich, um Einzelheiten zu besprechen. Und zwar haben sie sich einmal im Café Hauptwache
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