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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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Lockenschopf samt dramatischer Hakennase, ein als exzentrisch beschriebenes Wesen, besaß angeblich ein Schloss in Schottland, obwohl das noch niemand zu Gesicht bekommen hatte, und vor allem hatte er mehrere archäologische Sensationen hingelegt. André hatte in Bamberg studiert, sich aber in Frankfurt zur Promotion angemeldet, weil Grafton
die
Koryphäe auf seinem Gebiet war und der bekannteste deutsche Archäologe. Wobei Grafton natürlich ursprünglich kein Deutscher war. Eben das trug wahrscheinlich zu seiner Popstar-Ausstrahlung bei.
    Jetzt, keine Minute zu früh, kam der große Grafton mit seiner Anhängerschar den Flur entlang. Andrés Herz klopfte heftig. Der Famulus schloss die Tür auf, alle betraten den alten Uni-Senatssaal. Grafton ließ sich samt Lockenschopf und Hakennase am Kopf der U-förmigen Bestuhlung nieder, seine Lieblingsstudenten und Mitarbeiter nahmen rechts und links neben ihm Platz, andere Teilnehmer des Kolloquiums setzten sich weiter außen im Rund. Für André, den «Täufling», stellte jemand einen einsamen, ungepolsterten Stuhl der U-Kurve gegenüber. Als Einziger hatte André keinen Tisch vor sich, musste sein Konzept in der Hand halten. Folien gab es keine. PowerPoint war bei Grafton verpönt.
    Andrés Doktorarbeit war sorgfältig ausgearbeitet. Er hatte Grafton schon vor Wochen über die rätselhaften Datierungsergebnisse informiert, und der hatte sich das ohne cholerischen Anfall angehört. Dennoch zitterten André die Hände, mit denen er das Papier hielt.
    Zunächst fasste er die unproblematischen Ergebnisse zusammen: eine Kartierung der Cottbusser Rautenkeramik-Ausgrabungsstelle, die Größe der Ansiedlung, die mutmaßliche Zahl der Bewohner, die gehaltenen Tiere und angebauten Pflanzen, eine Beschreibung dessen, was André als Brunnen deutete, Anzeichen für Jagd und für Handel bis ins Mittelmeergebiet, eine kleine Sensation für sich.
    Den Hammer mit der Datierung hob er sich für den Schluss auf. André hatte nach den Menschenknochen noch Proben von Ziegenknochen sowie Holz und Holzkohlereste einer Herdstelle durch den Beschleuniger-Massenspektrometer laufen lassen. Und leider waren alle Ergebnisse ganz anders, als nach Graftons berühmten Publikationen zum Thema zu erwarten.
    «Die Daten», fasste er schließlich zusammen, «weisen einen Mittelwert von viertausendzweiundachtzig Jahren vor Christus auf, mit einer Standardabweichung von zweihundertzwei Jahren, wobei die Obergrenze des Konfidenzintervalles …»
    André hielt inne, weil die höhnischen Äußerungen des Publikums um ihn herum so laut wurden, dass er sie nicht mehr ignorieren konnte. Grafton lehnte ausdruckslos im Stuhl, sagte trocken: «Fällt Ihnen das Sprechen schwer, oder was? Weiter bitte, wir haben nicht ewig Zeit.»
    André spürte seine Zunge am Gaumen kleben. Mühsam las er seinen Text ab, bis er sich etwas besser fühlte und wieder frei reden konnte. Da war er auch schon bei seinem Schlusswort angelangt:
    «Es ließe sich aufgrund dieser überraschend jungen Daten folgende Hypothese aufstellen: Die Rautenkeramikkultur hielt sich im ostelbischen Raum drei Jahrtausende, war aber nach ihrer frühen Blüte marginal, wobei sie gegen Ende des fünften Jahrtausends in situ in die Trichterbecherkultur überging und erst in dieser Form neue Verbreitung fand. Weitere Ausgrabungen in der Region könnten hierüber Klarheit bringen.»
    Nun hätte eigentlich der Applaus einsetzen müssen, der an der Uni traditionell durch Klopfen auf die Tische ausgedrückt wurde. Doch André umgab eisiges Schweigen.
    «Zur Diskussion», befahl Grafton. Sofort meldete sich Stahl, einer von Graftons Lieblingsstudenten, der gerade sein Diplom hinter sich gebracht hatte.
    «Darf man fragen, welche Eichdaten Sie der Datierung zugrunde gelegt haben?»
    Seit wann siezte Stahl ihn, fragte sich André.
    «Die Eichwerte des Gerätes lagen mir nicht vor», erklärte er. Diese befanden sich in Graftons Giftschrank, waren angeblich genauer als die jedes anderen Radiokarbon-Labors weltweit, aber wurden aus unerfindlichen Gründen nur den privilegierten Eingeweihten zugänglich gemacht. «Deshalb habe ich eine eigene Eichung vorgenommen», fuhr André fort. «Das ist alles in den Anhängen zur Dissertation dokumentiert. Professor Grafton hat schon eine Kopie erhalten, damit er meine Eichung mit den bisherigen Daten abgleichen kann.»
    Höhnisches Lachen kam aus der Runde.
    «Aus Ihren sogenannten Eichdaten», sagte Graftons Famulus und

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