Schattenhaus
Sogar der eingebildete Hendrik von Sarnau war ein bisschen scharf auf sie gewesen.
War der nicht auch nach Frankfurt gegangen? Er hatte sicher längst irgendein adeliges Pflänzchen geehelicht. Falls nicht, könnte man sich ja mal treffen. Gemeinsame Jugenderinnerungen verbanden.
***
Als Winter am Samstagmittag den dicken Stapel Hunderter aus dem Automaten zog und einsteckte, wusste er, dass er dabei war, eine Grenze zu überschreiten. Wenn er Glück hatte, würde es niemals herauskommen. Wenn er Pech hatte, war seine berufliche Zukunft pechschwarz. Doch das war sie vielleicht sowieso.
Arno Ziering hatte Winter in der Frühe zu Hause angerufen, hatte ihm gesagt, dass Kettler während seines Urlaubs auf seinem, Winters, Rechner geschnüffelt und nach Dingen gesucht hatte, die er ihm anhängen könne. Kollege Glocke habe von Kettler Honig um den Bart geschmiert bekommen, der folge dem Neuen jetzt blind. Er, Ziering, habe gehört, wie Kettler und Glocke davon gesprochen hätten, sie könnten Winter «auffliegen lassen», wenn sie wollten. Ziering selbst wolle es sich mit Kettler aus Angst um seine eigene berufliche Zukunft nicht verderben und sich offiziell lieber raushalten. Er habe Winter das aus schlechtem Gewissen jetzt aber sagen müssen.
Kettler und Glocke hatten also davon gesprochen, ihn «auffliegen zu lassen». Das hörte sich ja an, als solle ihm ein Disziplinarvergehen angehängt werden. Winter fiel allerdings nur eine wirklich ernste Unkorrektheit ein, die er sich während all der Dienstjahre geleistet hatte. Und er konnte sich kaum vorstellen, dass ausgerechnet Glocke Kettler davon erzählt hatte. Die Geschichte warf nämlich ein noch schlechteres Licht auf Glocke als auf ihn.
Nein, wahrscheinlich ging es gar nicht um diese schlimme alte Sache. Sondern Kettler plante, Winter aus Nichtigkeiten einen Strick zu drehen. Die Kunst, ihn bei Fock unbeliebt zu machen, beherrschte er zweifellos.
Den Rest des Morgens hatte Winter sich damit abgelenkt, an seinem häuslichen Laptop die Konversation zwischen «Sabrina 81 » und «Sumathi» in dem Esoterikforum zu Ende zu lesen. Dabei hatte er ein paar kleine Anhaltspunkte gefunden, die es vielleicht ermöglichten, «Sumathi» ausfindig zu machen. Gut möglich, dass der Unbekannte etwas mit dem Mord an Sabrina Vogel zu tun hatte. Auf jeden Fall wahrscheinlicher als Kettlers Tatverdächtiger. Doch so, wie die Dinge im Präsidium standen, konnte er es sich nicht leisten, selbst nach ihm zu suchen.
Nachdem er das Geld an der Galluswarte abgehoben hatte, lenkte er seinen Wagen in die Kleyerstraße. Die Frau, zu der er unterwegs war, wohnte ein paar Kilometer weiter in Griesheim, in einem sehr bescheidenen Wohnblock. Dass sie Anwältin war und angeblich die Ehefrau des bekannten, gestriegelten Wirtschaftsanwalts Hasso Manteufel, sah man ihr wahrlich nicht an, und es erschien Winter heute ähnlich absurd wie bei seiner ersten Begegnung mit der Dame. Immerhin roch sie diesmal nicht ungewaschen, als sie ihm die Tür öffnete. Er hatte sie telefonisch vorgewarnt, dass er kommen würde.
Sonja Manteufel war ein wogender Fleischberg und gehörte zu der Sorte, die ihre zeltartige Bekleidung nicht in normalen Geschäften kaufen kann. Die ursprüngliche Form ihres Gesichts war unter all dem Teig rundherum nicht zu erkennen. Pinguinartig und schnaufend wackelte sie vor ihm her ins ärmlich und lieblos eingerichtete Wohnzimmer. Das Einzige, was hier positiv ins Auge stach, waren die überquellenden Bücherregale.
«Der Fall ist offiziell abgeschlossen», berichtete Winter, als er saß, in Ergänzung seiner kurz angebundenen Schilderung am Telefon. «Meine Kollegen glauben, den richtigen Täter zu haben. Ich sehe das anders, aber ich kann nicht weiterermitteln, weil ich sonst Ärger mit meinem Chef bekomme. Damit die Wahrheit ans Licht kommt, hätte ich nun eben gerne, dass eine intelligente, aufmerksame Person wie Sie, Frau Manteufel, auf eigene Faust weiterrecherchiert. Nur muss mein Name absolut außen vor bleiben. Verstehen Sie?»
Das Geld lag zwischen ihnen auf dem Tisch. Dr. Sonja Manteufel hatte es noch nicht einmal angerührt.
«Ich verstehe vollkommen», sagte sie. «Als was oder wen soll ich mich denn ausgeben, wenn ich Leute befrage? Als Journalistin? Als privat interessiert an dem Fall?»
«Zum Beispiel. Oder vielleicht bieten Sie sich dem derzeitigen Angeklagten als Verteidigerin an. Die schlechteste Anwältin sind Sie ja nicht, wenn ich mich recht
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