Schattenhaus
getroffen und einmal bei einem noblen Italiener in der Fressgass. Von dem Hirntumor Frau Vogels ist übrigens die ganze Zeit nicht die Rede. Ich glaube, davon hat sie ihm nichts gesagt. Damit hätte sie ja auch keine Lebensversicherung mehr bekommen. Er hat aber wohl geglaubt, sie hätte eine abgeschlossen. – So, Frau Manteufel. Und jetzt sagen Sie mir, was halten Sie von der verrückten Geschichte?»
Sonja Manteufel hatte wortlos zugehört, ohne eine Regung in ihrem speckigen Gesicht, und ohne sich auch nur eine einzige Notiz zu machen.
«Ich habe einen Verdacht», sagte sie trocken.
«Da bin ich gespannt. Und der wäre?»
«Dieser Sumathi ist Jurist.»
Winter war verblüfft. «Wie kommen Sie denn darauf? Als Jurist müsste er doch wissen, dass die Lebensversicherung nicht zahlen wird, wenn er Frau Vogel tötet oder sie sich selbst.»
«Das weiß er auch und hat es sicher berücksichtigt. Er hat garantiert für die Tatnacht ein perfektes Alibi. Es ist so, diese Geschichte erinnert stark an den sogenannten Siriusfall. Das ist ein realer Fall irgendwann aus den siebziger Jahren, von dem jeder Jurist im Laufe seines Studiums hört, weil es ein wichtiges Präzedenzurteil dazu gibt. Damals hat ein Mann behauptet, er komme vom Stern Sirius und könne eine Seelenreise zum Sirius vermitteln. Er hat das Opfer überredet, sich mit einem Föhn in der Badewanne umzubringen, damit es nach Unfall aussieht. Natürlich nachdem es eine Lebensversicherung auf seinen Namen abgeschlossen hatte. Jedenfalls, ich denke, unser Täter hier hatte zunächst auch einen fingierten Unfall geplant. Aber dann spurte Frau Vogel vielleicht nicht, oder es klappte nicht wie geplant, und er hat schließlich jemanden als Killer geheuert, von dem er sicher war, dass er nicht reden würde. Wenn er Anwalt ist, vielleicht einen seiner Klienten. Ich glaube nicht, dass unser Freund Sumathi selbst zur Waffe gegriffen hat. Und wie gesagt, er hat ganz bestimmt ein elaborates Alibi.»
***
Die coolen Jungintellektuellen unter den Abiturienten waren sich fürs Tanzen zu schade, saßen breitbeinig an einem Tisch ganz vorne und zerfetzten mit Ironie oder Zynismus jeden, der sich auf die Tanzfläche oder zu einer Darbietung auf die Bühne wagte. «Ey, komm, lasst uns gehen», sagte irgendwann einer von ihnen, namens Tim Steiner. «Das ist doch zum Gähnen, die Spießerveranstaltung hier.» Die Veranstaltung war der Abiball.
«Wollen wir nicht erst noch ein paar Tussis abschleppen?», schlug Hanno Krombach vor. «Damit der Abend ein zünftiges Ende bekommt.»
«Wir können ja das Pfister mitnehmen», witzelte Hendrik von Sarnau. «Die macht es mit jedem. Da haben wir alle drei was von.»
«Ey, Pfister!», brüllte Hanno Krombach über die Tische. «Hast du gehört, der Hendrik will mit dir schlafen!» Alle drei lachten sich schief, während Sabrina Pfister am anderen Ende des Saals hoffnungsvoll errötete. Hanno stieß Hendrik mit dem Ellbogen an. «Komm, Alter, geh hin und flöt ihr was ins Ohr. Die kommt mit, ich schwör’s. Und dann lassen wir’s krachen.»
Leicht gelangweilt stand Hendrik auf, reckte sich zu voller Größe und schlenderte an Sabrinas Tisch, wo sie wie üblich mit Janine zusammensaß. Er beugte sich zu ihr, während sie ihn erwartungsvoll ansah. Was er sagte, wusste man nicht. Jedenfalls stand Sabrina bald auf, ohne ihre entsetzt dreinsehende Freundin auch nur eines Blickes zu würdigen, und kam rotwangig mit Hendrik herüber.
«Okay, Jungs, gehen wir», dekretierte Hendrik, als er mit seiner Beute heran war.
Draußen war es noch nicht ganz dunkel, ein lauer Sommerabend, den man am besten im Freien statt in stickigen Sälen verbringt. «Fahren wir raus nach Fischborn irgendwo an den Bach», beschloss Hendrik. Hanno, zwar nicht gerade nüchtern, übernahm das Steuer, den Arm aus dem offenen Fenster gelehnt. Hendrik stieg mit Sabrina hinten ein. Ziemlich bald ging dort das Geknutsche los. Das Pfister zierte sich natürlich nicht. Knutschen mit Hendrik von Sarnau war sicher die Erfüllung aller Pfisterträume.
Als sie raus aus dem Ort waren, bog Hanno in Bachnähe in einen Feldweg und hielt dort. Es dämmerte jetzt stärker. Tim hatte einen Joint fertig gedreht und zündete ihn an. «Lassen wir die Jungs rauchen», hauchte Hendrik hinten seinem Opfer ins Ohr. Er stieg mit ihr aus, die beiden lehnten sich an den Wagen, und von drinnen bekam man mit, wie das Geknutsche und Gedrücke weiterging. «Sabrina, willst du mit mir schlafen?»,
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