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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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es schon in diesem Moment wissen müssen: Grafton war ein Arschloch. Ein Riesenarschloch.
    Konnten Andrés Zahlen wirklich so grundfalsch sein? Dass er selbst einen Fehler bei der Eichung gemacht hatte, konnte er sich vorstellen. Aber dass dann das Kölner Labor ein Ergebnis lieferte, das zu seinen falschen Daten exakt passte – wie unwahrscheinlich war das denn?
    Nicht viel unwahrscheinlicher, sagte sich André, als dass Grafton betreffs der Oxforder Kontrollergebnisse gelogen hatte. Ja, vielleicht war schon Graftons ursprüngliche Datierung für diese andere Fundstelle der Rautenkeramik, die ihn berühmt gemacht hatte, eine freche Lüge gewesen. André würde versuchen, das nachzuprüfen. Zu verlieren hatte er nichts mehr. Gar nichts.
    ***
    Birthe kam mit heißem Gesicht und voller Wut und Scham nach Hause. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Zweimal schon hatte sie Hendrik Geld «geliehen». Heute dann waren sie zusammen auf einen Ball dieser Verbindung gegangen, zu deren «Alten Herren» Hendrik gehörte, Birthe als seine «Tischdame». Und Hendrik schaffte es doch tatsächlich, binnen dieses eines Abends in Birthes Gegenwart penetrant nicht mit einer, sondern nacheinander
zwei
anderen Frauen zu flirten. Die erste war eine höchstens zwanzigjährige exotische Schönheit, Südseeinsulanerin oder vielleicht Karibik, und die andere schmückte sich mit einem ellenlangen Adelstitel auf dem angesteckten Namenskärtchen und hatte wahrscheinlich Kohle wie Heu.
    Okay, von Hendrik von Sarnau war Birthe jetzt geheilt. Gemeinsame Jugend hin oder her, der war nichts für sie. Es gab tausend Gründe, angefangen davon, dass er sich jüngst nicht entblödet hatte, ihr zu einer plastischen Operation des Nabels und der Brustwarzen zu raten. Ihre hätten nicht die «derzeit bevorzugte Form». Sie war ihm als Mensch schnurzegal, er nutzte bloß die günstige Gelegenheit und ihre Doofheit, ihr Geld aus der Tasche zu leiern, und den Sex nahm er als Service am Rande mit.
    Der perfekte Kontrast zu Matthias: Der wollte sie auch nicht. Aber der war nicht einmal für Gegenleistungen wie Kost und Logis bereit, mit ihr ins Bett zu gehen. Der Gedanke an Matthias schmerzte noch immer.
    Als Birthe den Anrufbeantworter blinken sah, dachte sie wirklich eine Sekunde voller Hoffnung, er sei es: Matthias. Aber nein. Es war Tim Steiner, jemand aus der Schulzeit, den sie seit dem Abi nicht gesehen hatte. Er habe ihre Nummer aus dem Internet. Ob man sich nicht mal treffen könne, er wohne nicht so weit?
    Birthe hatte null Interesse an Tim Steiner. Der hatte ihr nie gefallen. Außerdem, hatte ihr nicht irgendjemand erzählt, der begabte Tim Steiner mit dem Top-Abi würde sich heutzutage als Ein-Euro-Jobber durchschlagen?
    Vielleicht wollte der auch bloß Geld von ihr schnorren. Es war beinahe ein Fluch, dass sie so viel geerbt hatte.
    Okay, Männer konnte sie derzeit vergessen. Dann eben Plan B, um etwas Wärme in ihr Leben zu bringen. Sie brauchte ein Kind. Am besten irgendein kleines Ding aus China, das von seiner Mutter aus Armut abgegeben worden war. Bloß nicht aus Russland, die russischen Babys hatten so oft einen Alkoholschaden. Aber kam man als Alleinstehende überhaupt an Adoptivkinder aus dem Ausland ran?
    Birthe rieb sich die Schläfen. Sie hatte Kopfschmerzen. Wie dauernd in letzter Zeit.

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Juni
    G egen Nachmittag klingelte das Telefon von Sven Kettler, mit dem Winter leider noch immer das Büro teilte. Das Gespräch war von Kettlers Seite aus einsilbig und rasch beendet. «Fock», erläuterte Kettler, als er aufgelegt hatte. Während er aufstand und seinen kleinen grünen Rucksack über die Schulter schwang, berichtete er, worum es gegangen war: «In der Uniklinik liegt eine Frau mit einer Pilzvergiftung. Ich soll pro forma checken, ob es Fremdverschulden sein kann. Irgendein blöder Arzt hat Anzeige gegen unbekannt erstattet. Dann werd ich mal losdüsen. Wir sehen uns morgen, hab später noch Tennis.»
    Kaum war Kettler draußen, schwante Winter, dass Fock aus einem ganz bestimmten Grund Kettler und nicht ihn angerufen hatte: Fock konnte für das K  11 derzeit keinen größeren Fall gebrauchen. Eine Sonderkommission saß an einer Massenpanik mit Toten bei der diesjährigen Dippemess; es galt, um die zweitausend Zeugen zu befragen sowie Berge von Akten zu sichten. Wenn Fock nun Kettler entscheiden ließ, ob man in dem Vergiftungsfall ermitteln solle, dann war die Wahrscheinlichkeit hundert Prozent, dass die

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