Schattenhaus
Seniormitarbeiter Hartkopf, «geht vor allem hervor, wie inkompetent Sie sind.»
André spürte, wie er rot wurde. Das schien ein abgekartetes Spiel zu sein. Grafton hatte sich vorher mit seinen Jüngern zusammengesetzt und besprochen, wie sie ihn fertigmachen würden. Verdammter Mist.
«Ich habe vor meinem Magister extra ein Semester bei den Physikern in Erlangen verbracht», verteidigte sich André. «Die C- 14 -Technik hab ich da von der Pike auf gelernt.»
«Ein Semester?», sagte ein Ko-Doktorand kopfschüttelnd. «Mann, ey, da hast du ja echt Erfahrung.»
Du falsche Schlange
, dachte André. Beinahe stiegen ihm die Tränen in die Augen. Doch die Entrüstung über das, was mit ihm gemacht wurde, war stärker und trieb ihn, sich weiter zu verteidigen. «Weil die Datierungen so ungewöhnlich waren, habe ich ja eine externe Kontrolle machen lassen. Eine Probe von dem Holz, mit dem der Brunnen befestigt war, ging ans Dendrolabor der Uni Köln. Die sagen auch, das ist ums Jahr 4200 vor Christus gewachsen.»
«Und woher willst du wissen, dass der Brunnen tatsächlich zu dem Fundensemble gehört?», fragte derselbe Doktorand hochnäsig. «Das wäre nämlich die erste Rautenkeramikfundstätte, die einen Brunnen hat.»
«Außerdem scheinen Sie noch nie davon gehört zu haben», meldete sich Stahl wieder, «dass die Dendroreihe, mit der Köln arbeitet, auf nordwestdeutschen Eichen beruht. Für das ostelbische Gebiet gibt es überhaupt keine wissenschaftliche Baumjahresreihe. Und Sie Stümper schicken Ihre Probe nach Köln. Ts, ts. Wie viel hat der Spaß denn gekostet?»
André hatte die dendrochronologische Untersuchung in Köln aus eigener Tasche bezahlt, das war aber mit 200 Euro nicht annähernd so teuer gewesen wie ein Radiokarbon-Test in einem Fremdlabor. Er hatte auf dem Kölner Einreichbogen deutlich erklärt, woher der Fund kam. Niemand im Kölner Labor hatte angedeutet, dass bei Lausitzer Holz die Datierung unzuverlässig sein könnte.
«So, beenden wir das Trauerspiel», mischte sich endlich Grafton ein. Den Bruchteil einer Sekunde glaubte André, dass Grafton jetzt das Ruder herumreißen und die Kritik seiner Getreuen relativieren würde. Doch das geschah nicht.
«Junger Mann», sagte Grafton, «ich habe schon datiert, da haben Sie noch in die Windeln geschissen. Ich habe sogar einst das Gerät in Harvard zusammengebaut und geeicht. Nachdem Sie mir von Ihren erstaunlichen Ergebnissen berichtet haben, die natürlich nicht stimmen konnten, hab ich ein paar Pröbchen von der Fundstelle nehmen lassen und selbst datiert und zur Sicherheit auch noch welche nach Oxford geschickt, das einzige wirklich verlässliche europäische Labor außer dem unseren. Ja, die Fundstätte ist etwas jünger als die anderen der Rautenkeramik. Aber nicht ganz so jung, wie Sie behaupten. Hier habe ich den Brief aus Oxford, und da steht …» – er las ab – «… ‹Mittelwert 9230 Jahre vor heute›. Sie liegen also nur knapp dreitausend Jahre daneben.» (Gelächter.) «Ihnen ist ja wohl klar, dass Sie sich mit der Art, wie Sie hier bedenkenlos Ihre Schwachsinnsergebnisse vortragen, wissenschaftlich ganz und gar disqualifiziert haben. Der Ko-Gutachter sieht das ebenso. Kurz und knapp:
non sufficit –
und falls Ihr Latein so dürftig ist wie Ihre restlichen Kenntnisse, hier noch die Übersetzung: ungenügend. Sie sind durchgefallen. Wenn Sie mir in ein paar Jahren eine neue Dissertation einreichen, die weniger stümperhaft ist, dann gebe ich Ihnen eine neue Chance. Falls ich gerade meinen netten Tag habe.»
André fühlte sich wie ein geprügelter Hund. Die anderen zogen beim Rausgehen an ihm vorbei, als sei er nicht da.
Allein im leeren Senatssaal, fiel ihm seine erste persönliche Begegnung mit Grafton ein, vor beinahe drei Jahren. Er hatte sich für Graftons Sprechstunde zu Beginn eines Semesters angemeldet. Vor der Sprechstunde lag die Anfängervorlesung. Da André früh angekommen war, setzte er sich mit dazu, um Grafton einmal im Unterricht zu erleben. Die Vorlesung begann damit, dass Grafton Folgendes an die Tafel schrieb:
Prof. Dr. B. Grafton, B. S, M. A:, Ph. D., 4 th Viscount of Blaby, Knight of the Order of St. John in Jerusalem, Director of the Oxford Policy Foundation.
Dann drehte er sich zur Klasse um und erklärte schroff: «So heiße ich. Damit es schneller geht, erlaube ich Ihnen, mich kurz und knapp Lord Professor Grafton zu nennen. Wer Herr Grafton zu mir sagt, fliegt raus.»
André hätte
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