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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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er sie überhaupt anfassen dürfen? Egal, er würde sich draußen die Hände waschen.
    «Jetzt erzählen Sie mir mal, wie Sie sich diese Vergiftung geholt haben.»
    ***
    Es war ein Rekord-Champignonjahr. Birthe hatte noch nie so viele auf einmal gesehen. Auf den Niddawiesen standen sie dicht an dicht, ein Prachtexemplar neben dem anderen.
    «Sind die nicht giftig?», fragte Matthias, der schon deshalb mitgekommen war, weil ihm nach sechs Jahren Knast jeder Schritt in die Natur guttat.
    «Unsinn», sagte sie und lachte, «das sind Champignons.»
    «Ich weiß nicht. Champignons sehen doch anders aus.»
    Birthe lachte wieder. «Du meinst die Zuchtchampignons, die man im Laden kauft. Aber das hier sind Wiesenchampignons. Glaub mir, ich bin seit der Kindheit Pilzexpertin. Außerdem habe ich letzte Woche hier schon mal eine Riesenportion geholt, und wie du siehst, lebe ich noch.» Sie kniete sich neben den Korb und begann, einen großen Pilz nach dem anderen abzuschneiden.
    Matthias sah zweifelnd auf sie herab.
    «Kann man die nicht mit Knollenblätterpilzen verwechseln?»
    Sie lachte wieder. Sie war einfach nur glücklich, freute sich über jede Sekunde, die er bei ihr war. Sie hatte Matthias längst abgeschrieben gehabt, geglaubt, sie müsse sich ihre Erfüllung anderswo suchen. Doch dann war er zwei Wochen vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis ganz plötzlich umgeschwenkt: Er wolle doch bei ihr einziehen. Sein bereits gemietetes Zimmer im Studentenwohnheim gab er extra dafür auf. Damit hatte er sich für sie entschieden, und zwar in jeder Hinsicht. Jetzt war alles perfekt in ihrem Leben. Wirklich alles.
    «Andere Leute verwechseln die vielleicht, ich nicht», erklärte Birthe. «Es ist ganz einfach: Knollenblätterpilze haben immer weiße Lamellen, Champignons nie.» Sie richtete sich auf, kam mit einem Pilz in der Hand ganz dicht an Matthias heran, sodass sie ihn berührte. «Hier, siehst du? Das sind die Lamellen. Bei reifen Champignons sind die braun bis dunkelgrau. Wäre das ein Knollenblätterpilz, wären sie weiß. Das kann man nicht verwechseln. Wenn du nach den Lamellen gehst, ist es idiotensicher. Außerdem wachsen Knollenblätterpilze nur unter Bäumen, nicht mitten auf der Wiese.»
    Jetzt lachte er auch. Er küsste sie. Und dann ließ er sich tatsächlich dazu herab, mitzusammeln.
    Seit vorgestern war er jetzt draußen, und gestern hatten sie zum ersten Mal miteinander geschlafen. Seitdem schwebte Birthe auf einer Glückswolke. Er war so schön, einfach so schön, und so wunderbar. Das mit ihnen beiden war etwas ganz Besonderes.
    Sie brauchten zu zweit bloß zehn Minuten, um einen Riesenkorb Pilze zusammenzubekommen. Weil Birthe das Zusammensein mit Matthias noch ein bisschen genießen wollte, schlug sie vor, sich auf eine Bank zu setzen. «Wann kochst du die?», fragte Matthias, während sie Händchen hielten wie Teenager. Es störte sie leicht, dass er seit seinem Einzug wie selbstverständlich annahm, dass sie den Haushalt inklusive Kochen voll übernahm, obwohl sie arbeitete, wenn auch jetzt nur noch mit halber Stelle. Okay, er kannte es nicht anders. Sie würde ihm schon nach und nach beibringen, dass man sich Hausarbeit auch teilen konnte.
    «Ich habe doch heute Abend eine Sitzung bei Amnesty», erinnerte sie ihn. «Ich glaube, wir machen die Pilze morgen Mittag.» Absichtlich sagte sie «wir».
    Als Birthe am nächsten Mittag zum Essen aus der Schule kam – die lag bloß fünf Minuten Fußweg entfernt –, roch es köstlich nach Pilzen. «Hey, du hast gekocht!», rief sie überglücklich. Sie kam ins Esszimmer und fand einen für zwei gedeckten Tisch vor, mit bereits aufgeschöpften Tellern. Er war doch wirklich perfekt. Mit Zwiebeln, stellte sie fest, und nach Butter roch es auch. Okay, die Küche sah chaotisch aus (sie sah es durch die Tür), aber das würde schon noch.
    «Das Problem ist bloß, ich finde die Pilze irgendwie eklig», sagte Matthias. «Ich hab eben mal versucht … die sind so schleimig, und der Geschmack so streng.» Sie nahm sich eine Gabel und kostete von seinem Teller. «Die sind ganz wunderbar», dekretierte sie. «Hmm, sogar besonders gut. Nussig. Halt anders, als du es von diesen langweiligen Zuchtchampignons aus dem Supermarkt gewöhnt bist.»
    «Nee, du, tut mir leid, ich kann das echt nicht essen. Willst du meinen Teller?»
    Birthe seufzte. Auch ihre Kollegin Ann-Sophie und die Kinder hatten die selbst gesammelten Pilze letzte Woche verweigert. Diese Hasen hatten doch

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