Schattenhaus
korrekten Adresse führen zu lassen. Die Eltern von Verena Tamm wohnten in einem typischen westmitteldeutschen Bauernhaus mit einem Haupttrakt aus den sechziger Jahren und rundherum Stall- und Scheunenanbauten, die viel älter waren. Der Name auf dem Klingelschild lautete Krombach.
Man musste die Frau, die öffnete, nicht fragen, ob sie die Mutter der getöteten Verena Tamm war. Man sah es ihr an. Brigitte Krombach war eine Frau von Ende fünfzig mit Vollmondgesicht, von der die Tochter vor allem die grobknochige, große Statur und die lockigen Haare geerbt hatte. Ihr rundes Gesicht war nicht nur vom Alter gezeichnet. Sie sah regelrecht krank aus. Die verfärbte Haut unter den Augen ließ an Schläge denken, aber die exakte Gleichmäßigkeit der Spuren an beiden Augen verriet, dass es sich hier um die Folgen von vielen Tränen und wenig Schlaf handelte.
«Guten Tag, mein Name ist Glocke, Kriminalpolizei», begann dieser. «Wir sind hier in der Angelegenheit Ihrer verstorbenen Tochter. Dürften wir wohl reinkommen?»
«Ja, sicher, bitte.»
Frau Krombach hielt einladend die Tür auf. Aksoy musste zugeben, dass Glockes bebrillte, graumelierte Gestalt ungemein seriös wirkte, ein perfekter Türöffner. Sie selbst hatte oft gegen Misstrauen zu kämpfen, wenn sie bei Zeugen oder Angehörigen klingelte. Das kam bei Glocke sicher weitaus seltener vor.
Brigitte Krombach bat sie auf eine Terrasse, die nach hinten auf die Felder ging. Hier stand ein frisch gedeckter Kaffeetisch für zwei, in der Mitte eine Edelstahlplatte mit Himbeerkuchen, der selbstgemacht und köstlich aussah. «Einen Moment, ich hole meinen Mann aus dem Stall», erklärte die Frau. Dieter Krombach erschien kurz darauf, im verdreckten Arbeitsanzug und umhüllt von einer Wolke Stallgeruch, ein stark dialektgefärbt sprechender sechzigjähriger Mann mit buschigen grauen Augenbrauen und abgearbeiteten Händen, von denen Aksoy bezweifelte, dass er sie vor der Begrüßung gewaschen hatte. Das wäre wahrscheinlich auch zu viel verlangt: Der Mann hatte vor einer Woche seine Tochter verloren. Er hatte andere Prioritäten, als Polizisten die Hände nicht schmutzig zu machen.
So bieder und kooperativ, wie Verena Tamms Eltern auf den ersten Blick wirkten, so wenig rückten sie tatsächlich an Informationen heraus. Die Befragung stieß an allen wichtigen Stellen gegen eine Mauer des Schweigens.
«Hatte Ihre Tochter Feinde?» – «Nein.»
«Können Sie mir Freunde oder Bekannte Ihrer Tochter nennen?» – «Nein.»
«Gab es jemanden, der ihr oder ihrer Familie Böses wollte?» – «Nein.»
«Gibt es irgendeinen Verdacht im Dorf, wer der Täter sein könnte?» – «Nein.»
«Können Sie sich einen Zusammenhang mit dem Tod Sabrina Vogels vorstellen?»
Nein, das könne man nicht, und im Übrigen kenne man die Familie Pfister kaum. Man habe keinerlei Beziehungen zu denen. Gar nicht. Die Mordtaten könnten nichts mit dem Dorf zu tun haben, das sei eine Frankfurter Angelegenheit, in Frankfurt gebe es doch so viel Kriminalität, Frankfurt sei doch die Verbrechenshauptstadt Deutschlands.
Während Herr Krombach redete, stieg am Ende des langen Gartens ein großer Mann in rotem T-Shirt und Jeans über den mickrigen Zaun und kam beinahe drohend auf Haus und Terrasse zu. «Dieter, Dieter, guckemol», flüsterte Frau Krombach und zupfte ihren Mann am Ärmel, der mit dem Rücken zum Garten saß. Ein Blick in die von seiner Frau gewiesene Richtung reichte, und Dieter Krombach war auf den Beinen. Rasch ging er auf den grimmig dreinblickenden Besucher zu. «Wer ist denn das?», fragte Aksoy leise.
«Ach, niemand, ein Nachbar», behauptete Brigitte Krombach, deren ängstlich aufgeregter Blick zu der banalen Auskunft nicht passen wollte. Am Ende des großen Gartengrundstücks gab es nun ein stimmlich halb unterdrücktes Streitgespräch, ja eine Handgreiflichkeit: Der Fremde im roten T-Shirt strebte auf die Terrasse zu, und Dieter Krombach, einen Kopf kleiner und gut zehn Jahre älter, hielt ihn mit beiden Armen fest und stemmte sich dagegen, um ihn daran zu hindern. Aksoy erhob sich, gleichzeitig auch Frau Krombach, die sie mit «Ach, bleiben Sie doch sitzen» aufhalten wollte und sich dann selbst bemühte, schneller zu sein. Aksoy ging betont langsam hinterher, um die brenzlige Situation nicht durch schnelle Bewegungen zu verschärfen. Als sie die Gruppe erreichte, hörte sie, wie Brigitte Krombach dem Fremden zuraunte: «Es ist doch nur zu deinem Besten.»
Aksoy stellte
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