Schattenhaus
schon die Rede gewesen war.
«Richtig. Und Diabetes hab ich auch. Ich war schon zweimal im Koma. Ich hatte sogar schon Delirium tremens letztes Jahr.»
Er hörte sich an wie ein alter Soldat, der Heldentaten berichtet.
«Wovon lebt Ihre Familie denn?»
«Von der Berufsunfähigkeitsversicherung. Hab ich abgeschlossen, als ich noch in der Ausbildung war. Das Beste, was ich je gemacht hab. Und die Verena hat ja was dazuverdient. Wir hatten genug.»
Genug sogar, um sich eine Fünfzimmerwohnung zu leisten.
«Welchen Beruf haben Sie denn gelernt?»
«Immobilienkaufmann. Hab ich auch fast zehn Jahre gemacht. Ich hab nicht schlecht verdient als Makler, das können Sie mir glauben.» Aha, so erklärte sich die große Wohnung. Als Makler kam man leichter als andere Leute an Schnäppchen.
«Herr Tamm, hatte denn Ihre Frau eine Lebensversicherung abgeschlossen?»
Zum ersten Mal wirkte er wach, sah Aksoy direkt in die Augen. «Was soll denn das jetzt? Wollen Sie mir anhängen, dass ich meine Frau …?»
«Ganz und gar nicht. Das sind alles Routinefragen, die müssen wir stellen. Aber ich kann Ihnen versichern, Sie gehören bis jetzt nicht zum Verdächtigenkreis.»
Er schwieg einen Moment, dann sagte er: «Meine Frau und ich haben eine Versicherung auf verbundene Leben. Aber die zahlt jetzt erst mal nicht, das hab ich schon gefragt. Weil, das könnt ja ich gewesen sein. Ich krieg das Geld erst, wenn Sie den verdammten Scheißkerl finden, der das getan hat.»
«Dafür tun wir unser Bestes, das verspreche ich Ihnen.»
Aksoy stellte die nächsten zwanzig Minuten eine weitere Routinefrage nach der anderen, während Glocke schwieg und widerwillig Notizen machte. Er war nicht einverstanden damit, dass Aksoy hier die Führung übernahm. Aus seiner Sicht war sie ein Greenhorn. Sie hatte sich aufgedrängt mitzukommen, angeblich weil sie von Tamm die Adresse der Eltern der Toten erfragen und dann gleich dorthin fahren wollte. Doch jetzt machte sie sich hier breit und drängte ihn in den Hintergrund.
«Herr Tamm», mischte Glocke sich bei der ersten kurzen Pause ein, «wir bräuchten von Ihnen die Adresse von den Eltern Ihrer Frau.»
«Vorher noch eine Frage», ging Aksoy dazwischen. «Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer Ihrer Frau das angetan haben könnte?»
«Ich nicht. Aber die Eltern von der Verena schon. Bei denen auf dem Dorf wird viel gemunkelt. Es wundert mich, dass die das noch nicht der Polizei erzählt haben.»
«Okay, dann geben Sie mir jetzt bitte die Adresse. Um was für ein Dorf geht es denn?»
«Allmenrod bei Lauterbach im Vogelsberg. Da hab ich auch einige Häuser verkauft zu meiner Zeit. Meine Großeltern sind nämlich auch aus der Lauterbacher Gegend. Ich hatte viel im Vogelsberg zu tun. Da hab ich ja auch die Verena kennengelernt.»
Allmenrod. Den Namen kannte Aksoy irgendwoher. Sie hörte plötzlich im Geiste die kleine Merle Vogel:
Warum können wir nicht nach Allmenrod zur Oma?
Aksoy atmete tief durch.
«Hatten Sie oder Ihre Frau Kontakt zu Frau Sabrina Vogel, geborene Pfister?»
«Also, ich kenn die Pfister nur vom Namen her. Und meine Frau kannte die auch nicht gut. Die hatten nichts miteinander zu tun hier in Frankfurt. Aber die ist halt aus demselben Dorf.»
***
Winter erhielt die SMS , als er gerade Focks Büro verlassen wollte. Das Gespräch mit seinem Chef war höchst unerquicklich verlaufen: Fock wollte partout nicht einsehen, dass es sinnvoll war, mit der Anwältin im Fall Vogel zu sprechen. Er vertrat wie Glocke den Standpunkt, die Waffe sei inzwischen in anderen Händen und die beiden Fälle hätten nichts miteinander zu tun. Alles andere seien Hirngespinste, die Winters Rachsucht gegenüber Sven Kettler entsprängen.
In Hoffnung auf Argumentationshilfe schaute Winter hinter Focks Tür sofort auf sein vibrierendes Handy und fand, was er suchte. Er ging geradewegs zurück in Focks Büro.
«Also, Chef, die Kollegin Aksoy schreibt mir jetzt gerade, die erschossene Verena Tamm stammt aus dem gleichen Dorf wie Sabrina Vogel. Die beiden kannten sich. Wirft das nicht ein neues Licht auf die Sache?»
Fock gab einen Grunzlaut von sich, zog an seiner roten Fliege und sah einen Moment entnervt aus dem Fenster. Er war ein zu guter Polizist, um sich nicht von Fakten umstimmen zu lassen. «Tun Sie, was Sie nicht lassen können», sagte er schließlich. «Aber laufen Sie nicht irgendwelchen Phantasieszenarien hinterher. Im Fall Vogel haben wir den Täter. Und sprechen Sie sich um Gottes willen
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