Schattenhaus
Gesellschaft los sein. Das nächste Mal würde sie alleine fahren. Oder gleich halb Allmenrod vorladen. Das wäre wahrscheinlich das Beste.
Später, sie war schon zu Hause, entschloss sich Aksoy noch zu einer letzten Recherche. Sie rief Herrn Tamm an, den bekennenden Alkoholiker und Diabetiker, und fragte ihn, was genau denn seine Schwiegereltern ihm gegenüber angedeutet hätten.
Carsten Tamms Zunge war schwer und seine Stimmung so, dass er Aksoys Anruf in erster Linie als Gelegenheit sah, sich über sein schlimmes Schicksal trösten zu lassen. Aksoy tat ihm zunächst den Gefallen. Doch seltsamerweise wurde er ihr mit jedem Satz, den er sagte, unsympathischer. Zwar war der Mann tatsächlich schwer gestraft. Doch als er begann, sie zu duzen und ihr Komplimente zu machen («du bist ja auch eine attraktive Frau»), reichte es ihr.
«Herr Tamm», sagte sie, «es tut mir leid, dass ich Ihnen so wenig helfen kann, aber ich habe eigentlich nur eine Frage. Was haben Ihre Schwiegereltern denn genau zu Ihnen gesagt betreffs dieses Verdachts, den sie haben?»
Sie hörte ihn am anderen Ende schwer atmen. «Rache», sagte er schließlich. «Es wär aus Rache geschehen. Rache wegen dem Tod von der Sabrina Pfister oder Vogel oder wie sie heißt.»
«Fiel ein Name?»
«Ein Name, wer das getan haben soll? Nein. Aber einer aus dem Dorf, so viel war klar.»
Hilal Aksoy saß eine Weile still, nachdem sie aufgelegt hatte. Ihr kam eine neue Idee.
Was, wenn die Krombachs mit ihrem Verdacht ganz falsch lagen? Oder wenn sie gar keinen Verdacht hatten und Carsten Tamm diesbezüglich log?
Herr Tamm hatte zugegeben, dass es eine Lebensversicherung gab. Als Makler war er bestimmt in trickreichen Vorgehensweisen geübt.
Hatte er, der die Allmenröder Verhältnisse kannte, womöglich Weihnachten Sabrina Vogel samt Mann erschossen, nur um vom wahren Täter und Motiv abzulenken, wenn er Monate später seine Frau tötete?
Die Idee war verrückt. Aber sie verfolgte Aksoy noch die halbe Nacht.
***
Winter grinste, als sie ihm Dienstagmorgen um acht bleich mit einer Tasse Kaffee in der Hand erzählte, was sie vermutete. «Hilal! Mensch, du hast echt Phantasie. Weißt du noch, als du in dem Mainmädchenfall auf die Idee kamst, das Mädchen hätte sich selbst zwanzigmal in den Bauch gestochen und danach ins Wasser gestürzt? Klar, wir dürfen nichts ausschließen. Aber ich würde sagen, die wahrscheinlichste Möglichkeit ist das nicht.»
Sie lachte. «Okay, es klingt abenteuerlich. Aber es würde doch zumindest einige Rätsel lösen.»
«Einige. Aber nicht alle. Nicht dass ich jetzt eine Lösung parat hätte, die alles erklärt. Okay, wir behalten deine Eingebung im Hinterkopf. – Übrigens kommt hier in zehn Minuten ein Hanno Krombach vorbei.»
«Hanno Krombach? Noch ein Verwandter der Frau Tamm? Ich habe gestern in Allmenrod zusätzlich zu den Eltern noch einen wunderlichen Onkel namens Jörg Krombach kennengelernt. Das Protokoll bekommst du noch.»
«Die scheinen eine große Sippschaft zu haben, die Krombachs. Dieser Hanno Krombach jedenfalls ist nur ein weitläufiger Verwandter der Ermordeten, und er wohnt hier in Frankfurt. Zufällig oder auch nicht ist er zugleich ein Klassenkamerad von Sabrina Vogel.»
«Ah! Klingt höchst interessant.»
«Willst du dabei sein, wenn ich mit ihm spreche? Die Einladung ist nicht ganz uneigennützig, ich würde dir gerne das Protokoll überlassen. Ich habe gleich danach noch einen Termin bei der Staatsanwaltschaft.»
«Okay, geht klar.»
Aksoy erzählte kurz von gestern, Winter seinerseits briefte Aksoy. Gestern hatte er mit Sonja Manteufel gesprochen, die bekanntlich den Tatverdächtigen Preiß vertrat, und sich ganz offiziell über ihre Recherchen im Fall Vogel informiert. Manteufel hatte zwei Leute im Verdacht, hinter Sabrina Vogels mysteriösem Internet-Kontakt Sumathi zu stecken: Entweder Hendrik von Sarnau, der Schulkamerad, in den Sabrina einmal verliebt gewesen war. Oder aber den besagten Hanno Krombach, ebenfalls ein Schulkamerad und sogar mit familiären Wurzeln in Allmenrod. Beide hatten Jura studiert und lebten heute in Frankfurt. Von dem Verdacht gegen sich ahnte Hanno Krombach noch nichts. Winter hatte ihn per Fax bloß als Zeugen im Fall Verena Tamm vorgeladen, mit Hinweis auf die entfernte Verwandtschaft. Krombach war nicht überrascht gewesen. Sofort nach Erhalt des Faxes hatte er angerufen und sich freundlich bereit erklärt, zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu
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