Schattenherz
Tresen und warf lässig einen Zehneuroschein hinterher.
Nachdem sie das Wechselgeld kassiert hatte, wandte sie sich Anatol zu, steckte die Hand aus und sagte: »Kelly. Hi. Und du bist?«
»Anatol«, antwortete Anatol entgeistert.
»Aha, und deine kleine Freundin hier heiÃt â¦?«
Das Mädchen hatte kinnlange dunkelblonde Locken und extrem groÃe, leicht vorstehende Augen.
Bette-Davis-Eyes , schoss es Malin durch den Kopf. Den 80er-Jahre Hit hatte eines ihrer Kindermädchen bis zum Abwinken vor sich hin geträllert. Dorkas. Und Dorkas hatte ihr im Internet ein Bild von jener Bette Davis gezeigt. Eine Hollywood-Diva der Vierzigerjahre. Diese Kelly sah der Schauspielerin zum Verwechseln ähnlich.
Wahrscheinlich weià sie das sogarâ¦
Die Seitenscheitel-Frisur und die penibel in Schwalbenflügelform gezupften Brauen unterstrichen jedenfalls die ohnehin auffällige Ãhnlichkeit noch mehr. Nur das kleine, spitze Kinn, das Kellys Gesicht beinahe herzförmig erscheinen lieÃ, entsprach nicht dem Original. Sie trug auf Shorts-Länge abgeschnittene Jeans und ein verwaschenes, graues Tanktop mit der Aufschrift TFTC , unter dem sich deutlich ihre für eine so zierliche Person reichlich üppigen Brüste abzeichneten.
»Und? Wo bleibt das Dankeschön?« Kelly schob schmollend die Unterlippe vor.
»Danke, dass du mich nicht verraten hast ⦠«, stotterte Malin, immer noch fasziniert von Kellys Erscheinung, »⦠und danke fürs Bezahlen.«
DrauÃen vor dem Tankstellengebäude entstand für einen Moment lang ein unbehagliches Schweigen. Dann sagte Malin »Also dann: ciao!« und wandte sich in Richtung Brummi-Parkplatz, um gemeinsam mit Anatol eine neue Mitfahrgelegenheit zu finden. Doch Kelly hielt sie zurück. »Hey, Moment mal!«, rief sie ihnen hinterher. »Getankt habt ihr nicht, Geld habt ihr offenbar auch nicht und diese Sonnenbrillen sind echt ein Witz. Also, was für ân Mist habt ihr gebaut, hm?«
Eine knappe halbe Stunde später saÃen sie in Kellys ferrarirotem Mini Cooper und fuhren Richtung Nordwesten.
»Ich hab eh nichts anderes vor«, hatte Kelly erklärt, »ist egal, wohin wir fahren.«
Malin hatte versucht, ihr etwas vorzuflunkern wie »⦠Tasche geklaut« und »⦠keinen Schlüssel, keinen Ausweis und kein Geldâ¦Â«, aber Kelly war nicht so leicht hinters Licht zu führen.
»In so ânem Fall ruft man zu Hause an und Mama oder Papa sorgen dafür, dass die nächste Bankfiliale euch ân bisschen Bares auszahlt, auÃerdem ⦠«
»Am Wochenende haben die Banken zu«, warf Anatol ein. Kelly amüsierte sich königlich. »Guter Einwand!«, kicherte sie. »Nur habt ihr zwei Hübschen euch mal im Spiegel angeguckt? Diese Brillen sind echt der Hammer! Und wer bei den Temperaturen mit âner Wollmütze aufm Kopf rumläuft, der hat garantiert was zu verbergen!«
»Und wenn es so wäre?« Malin zuckte â selbstsicherer, als ihr zumute war â die Achseln. »Dann ist es doch nur logisch, die Wahrheit nicht in der Gegend rumzuposaunen.«
»Müsst ihr ja nicht. Aber mir solltet ihr schon sagen, was bei euch abläuft. Ich bin verdammt gut im Detailsmerken. Fotografisches Gedächtnis, versteht ihr? Ich weià sogar die Farbe von euren Schnürsenkeln.«
»Was soll das heiÃen? Dass du zur Polizei rennst und uns als irgendwie verdächtig anzeigst?«
»Möglich. Jedenfalls würd ich mich an eurer Stelle nicht auf das Gegenteil verlassen.« Sie schaute in den Rückspiegel und lachte die beiden an. »Also los: Was läuft da ab bei euch, hm?«
Malin und Anatol antworteten nicht. Doch Kelly lieà nicht locker. Von ihrem Schweigen unbeeindruckt begann sie zu raten.
»Hm. Also wie Bonnie und Clyde kommt ihr mir nicht gerade vor. AuÃerdem, wenn ihr âne Bank ausgeraubt hättet, müsste Bonnie schlieÃlich keine Batterien klauen.« Sie legte einen Zeigefinger an die Stirn und tat, als würde sie ganz besonders angestrengt nachdenken. Dann stieà sie einen kleinen Freudenschrei aus und lachte erneut. »Ich weiÃ! Ihr wollt nach Gretna Green zum Heiraten! âne Tante von mir hat das in den Sechzigern mit ihrem Lover durchgezogen. Hat keine zwei Jahre gehalten, die Ehe, aber voll romantisch! Ey, kein Problem, ich fahr euch da hin und mach die Trauzeugin! Aber
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