Schattenherz
ungestört.«
Eine gute halbe Stunde später hätte Malin sich für ihren Vorschlag ohrfeigen können. Kelly lieÃ, kaum war der Weiher in Sicht, ihre Klamotten fallen. »Wow! Das Teil hier gehört euch? Wie cool ist das denn?«, rief sie und sprang splitternackt ins Wasser. »Na los! Rein mit euch!«
»Mir ist nicht nach Schwimmen«, versetzte Malin und Anatol schüttelte nur stumm den Kopf.
Das macht sie nur, um Anatol zu imponieren , dachte Malin ungnädig, rief sich jedoch sofort innerlich zur Ordnung. Bloà weil jemand weniger verklemmt ist als du, muss dahinter ja nicht gleich irgendeine hinterhältige Absicht stecken â¦
Sie warf einen verstohlenen Seitenblick auf Anatol.
Er saà neben ihr im Gras und beobachtete konzentriert eine Biene, die sich über eine zartlila Blütenrispe hermachte.
»Geflecktes Knabenkraut«, murmelte er.
»Was?«
»HeiÃt die Pflanze.«
»Aha.«
Schweigen.
Kelly schwamm ein paar Züge, dann drehte sie sich auf den Rücken und spielte toter Mann. »Hey, ihr Partypooper! Das Wasser ist toll! Kommt doch auch!«
»Nee, lass man!«, versetzte Anatol und der kurze Blick auf Kellys nackten Körper reichte, um ihn rot werden zu lassen.
Sieh mal einer an , dachte Malin amüsiert, es ist ihm ja regelrecht peinlich, da hinzugucken! Andererseits: Wenn Kelly ihm gefälltâ¦
Bevor sie sich Gedanken darüber machen konnte, wie sie das fand, begann Kelly wieder rumzumaulen: »Malin! Wenn Anatol nicht will, komm du doch wenigstens!« Sie kicherte. »Oder kannst du nicht schwimmen?«
»Du hast es erfasst.«
»Nee! Echt?« Kelly wollte sich schier ausschütten vor Lachen. »Wie schrill ist das denn? Hat ânen eigenen Badesee und kann nicht schwimmen!«
»Mach dir nichts draus, Malin«, murmelte Anatol. Dann legte er sich der Länge nach ins Gras und schloss die Augen.
Ausnahmsweise lieà es Kelly diesmal dabei bewenden. Sie schwamm in Richtung gegenüberliegendes Ufer. Bis auf das Zwitschern der Vögel und das leise Geräusch, das Kellys regelmäÃige Schwimmzüge verursachten, war es still.
»Einatmen, Arme nach vorn, Kopf ins Wasser und Arme im weiten Bogen auÃen an den Körper ziehen â¦Â«
Ohne dass sie es verhindern konnte, drängten sich die Bilder von damals in Malins Gedächtnis: Schwimmunterricht in der Schule. Der erste Tag. Die Panik, die allein schon der Gedanke ausgelöst hatte, weiter als knietief ins Wasser zu gehen.
Wenn mir was passiert, sollen sie wissen, wie alles anfing.
Sie stand auf. »Ich geh mir ein bisschen die Beine vertreten.«
Auf einer Wiese in unmittelbarer Nähe des Weihers befand sich ein altmodischer Gartenpavillon. Malins GroÃeltern hatten ihn in den Fünfzigerjahren aus England kommen lassen: eine schmiedeeiserne Säulenkonstruktion, das Dach in Form einer chinesischen Pagode.
Die Möbel hatten mit den Jahren ihre Farbe eingebüÃt, aber sie taten ihren Dienst. Malin setzte sich in einen der verwitterten Korbsessel und zog den MP3-Player aus ihrer Jeanstasche.
Hallo, Dakota!
Solange die Batterie es noch tut, muss ich dir was erzählen. Es ist verrückt: Ich hab seit Jahren nicht mehr daran gedacht. Aber eben â als Kelly mich ausgelacht hat â kamen plötzlich wieder die Bilder von damals in meinen Kopf.
»Wasserscheu! Wasserscheu!«, haben die andern Kinder im Schwimmunterricht gerufen. â Nein, nein, das war nicht böse gemeint; ehrlich nicht! â Ich glaube, die wollten mich damit nur anfeuern. Und dann hat mich einer vom Beckenrand geschubst. Als die Lehrerin gemerkt hat, was da passiert, war es fast zu spät.
Malin merkte, dass ihr Atem schneller ging und ihr Magen erneut rebellierte, obwohl sie seit Stunden nichts mehr gegessen hatte.
Es war ein LEHR-Schwimmbecken, Dakota! Ich hätte stehen können! Jedenfalls, wenn ich mich auf die Zehenspitzen gestellt hätte! Aber ich habâs gar nicht erst probiert, und ⦠und â¦
Moment!
Sie schaltete den MP3-Player ab, als die Bilder von damals sie wieder einholten und ihr den Atem nahmen: die strahlend türkisblauen Fliesen des Schwimmbeckens, das Wasser, das sie immer wieder verschlang, bis ihre Lungen zu bersten drohten, und die bei jedem verzweifelten Auftauchen für Sekundenbruchteile über ihr erscheinenden Gesichter ihrer Klassenkameraden, erst lachend, dann mit vor
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