Schattenherz
Days zwischen Stapeln leerer Weinschläuche und Behältern mit Pastinaken, Zwiebeln und Porree hindurchgingen, vorbei an Weinpressen und Fässern mit gesalzenen Heringen und Aalen, zwischen in feuchte Tücher gewickelten Käselaiben und gewaltigen Mehlsäcken hindurch.
In den entlegensten Winkeln des Kellers, hinten, wo gewaltige Bottiche mit Bier vor sich hin gärten, hatte man Kranke hingelegt, damit die Ärzte sie versorgen konnten.
Hier, im Dämmerlicht einer einzigen Kerze, arbeitete Zauberer Binnesman. Er hatte vor einigen großen Eichentüren Blätter von Goldlorbeer und Rabenglaubzweige ausgelegt und die Türen mit Runen bemalt.
Als Myrrima näher kam und die Juwelen der Königin aus ihrer Tasche zog, schloß Binnesman die Türen zu den Krankenstuben.
Er ergriff die Opale mit gierigen Händen und legte sie auf dem Holzfußboden aus, der vom Schmutz zahlloser Jahre starrte. Zwischen den bis zur Decke reichenden Ölfässern war es fast so finster wie in einer sternenklaren Nacht.
Binnesman legte die Opale auf den Fußboden und zeichnete Runen in den Staub ringsum. Dann kniete er nieder, machte kreisende Bewegungen mit den Fingern und sprach mit monotoner Stimme:
»Einst wärmte das Sonnenlicht die Erd’,
Durchströmte einen wie ein Kind,
Das sich erwärmt am winterlichen Herd.
Einst gleißten Sterne am Firmament,
Auf daß die Erinnerung der Steine
Ihr leuchtend Strahlen wiedererkennt.«
Daraufhin flüsterte er: »Wacht auf und gebt euer Licht frei.«
Er hielt in seinen Bewegungen inne und erhob sich
erwartungsvoll. Bis jetzt hatten die Steine dunkel auf dem Boden gelegen.
Doch plötzlich sah Iome, wie sie anfingen zu glühen, wie das tief in ihrem Innern eingefangene Feuer zu lodern begann. In ihrer Kindheit hatte Iome oft mit der Halskette ihrer Mutter gespielt und dabei das funkelnde Farbenspiel beobachtet, wenn sie einen Opal in der Hand hielt und ihn im Licht drehte. Sie hatte grüne, rote und goldene Partikel in ihnen herumwirbeln sehen.
Doch nichts hatte sie auf das blendende Licht vorbereitet, das jetzt aus diesen Steinen hervorleuchtete. Strahlen von tiefstem Karminrot, sattem Smaragdgrün, dunkelstem Saphirblau und strahlendem Weiß tanzten wilder durch den Raum als jedes Feuer. Man schien geradewegs in die Sonne zu blicken, und Iome wandte sich ab, aus Angst, sie könnte erblinden.
Hinter ihr wich Myrrima verängstigt einen Schritt zurück.
Sie erschrak und sah sich verwundert im Raum um, als die vibrierenden Lichtpunkte sich verschoben und
umhersprangen, wie von einer Wasserfläche zurückgeworfen.
Binnesman starrte die leuchtenden Opale unverwandt an.
Einige glühten heller als andere. Nach einer Weile wurden sie wie erkaltende Kohlen schwächer. Er schob die Feueropale mit einem Finger nach links hinüber, denn obwohl sie leuchteten, verblaßte ihr rötliches Licht rasch.
Mit einer Hand hob er den Anhänger auf, der den grünen Opal enthielt. Die anderen Steine wurden bereits dunkler, dieser jedoch erstrahlte nach wie vor so hell, daß die von ihm ausgehende Hitze sengend wurde, und sein Grün erschien ihr wie eine Waffe, die sie bestrafen wollte.
Iome hatte Binnesman stets als einen freundlichen alten Mann gekannt, bis zu diesem Augenblick – da erfüllte sie das rings um ihn aufflackernde Licht mit Entsetzen. Er stopfte den Anhänger in seine Tasche. Das Licht schien immer noch wie ein brennendes Feuer durch den Stoff hindurch.
»Ich danke Euch vielmals, Euer Hoheit«, sagte er. »Ich hätte mir keinen schöneren Stein erhoffen können. Für die anderen habe ich keine Verwendung. Ihr werdet feststellen, daß sie jetzt ein wenig stumpf geworden sind, aber legt Ihr sie für ein paar Tage in die Sonne, kehrt ihr Feuer strahlender als je zuvor zurück.«
Vorsichtig postierte er einen einzelnen Ohrring auf den Fußboden, bevor er die Tür zur Krankenstube schloß, dann gab er Myrrima die übrigen Opale zurück.
Iome stand geblendet in der Dunkelheit. »Wird es
funktionieren?« fragte sie. »Könnt Ihr ihn mit diesem Stein töten?«
»Töten? Einen Glorreichen der Finsternis?« fragte Binnesman. »Auf den Gedanken bin ich noch nicht gekommen.
Ich hoffe zunächst einmal, ihn einzufangen.«
KAPITEL 16
Nebelschwaden
D
er Ritt von den Trostbergen hinunter nach Carris erschien Roland zu einfach. Und zwar in jeder Hinsicht. Er, Baron Poll, Averan und die grüne Frau waren an diesem Morgen auf der Bergstraße gut vorangekommen, hauptsächlich, weil die Straßen
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