Schattenherz
mit Frühstücken fertig und werden bis heute abend nichts mehr essen. Und gestern habe ich gar nichts bekommen.«
»Naja«, erwiderte Lord Poll, »um so leichter fällt es dir, deine zierliche Figur zu bewahren.«
»Das solltet Ihr vielleicht selber mal versuchen, Baron Dickbauch«, konterte Averan. »Euer Pferd würde es zu schätzen wissen.«
Baron Poll schüttelte Averan grob. Das Kind besaß eine Gabe der Muskelkraft, Baron Poll jedoch besaß mehr als eine und hatte sie sicher im Griff.
Roland fand es hartherzig, ein Kind auf diese Weise verhungern zu lassen. »Ich hole dir ein paar Walnüsse«, bot er an, sprang von seinem Pferd ab und ließ es grasen. Das Tier schwitzte, und seine Lungen gingen wie ein Blasebalg. Hier am Nordrand des Dorfes standen mehrere Katen dicht beieinander, und es gab wenig Futter für die Tiere. Schafe hatten die Weiden nahe der Straße abgefressen. Jetzt war von ihnen nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich waren sie zur Burg hinüber getrieben worden. Da es sonst kaum etwas zu fressen gab, ging das Pferd zu einem Blumenkasten draußen an einer Kate, fiel gierig über ein paar weiße Blüten her und fraß dabei so schnell, wie dies nur einem Pferd mit Gaben des Stoffwechsels möglich war.
Währenddessen suchte Roland den Boden nach Walnüssen ab, allerdings hatten hier Schweine gewühlt und sich die besten schon herausgepickt. Schließlich kletterte er auf den Baum, um einige zu pflücken.
»Ich muß mal«, sagte Averan und rutschte auf dem Sattel hin und her, wo Baron Poll sie festhielt.
»Halte es noch eine Stunde zurück«, befahl Baron Poll ihr.
»Ein Mädchen mit einer Gabe der Muskelkraft kann seine Blase den ganzen Tag unter Kontrolle halten.«
»Ich halte es schon seit gestern nacht zurück«, entschuldigte sich Averan. »Ich wollte im Lager nicht vor Euren Augen pinkeln. Bitte laßt mich gehen! Ich möchte nicht, daß alles über Euren Sattel läuft.«
Baron Poll verdrehte die Augen. »Dann verschwinde,
widerliche kleine Ratte. Hinter der Kate müßte es einen Abtritt geben.«
Averan ließ sich vom Pferd fallen und rannte los. Die grüne Frau folgte ihr auf dem Fuße wie ein treuer Hund.
»In zwei Minuten bist du wieder hier«, knurrte Baron Poll,
»oder ich verpasse dir noch eine Abreibung, und die wird schlimmer als die erste.«
Roland kletterte in die Gabel eines Walnußbaumes und begann, sich die Taschen zu füllen. Er war gerade erst eine Minute dabei, als sein Blick zufällig auf die Straße fiel.
Staub stieg dort auf, in der Richtung, aus der sie gerade gekommen waren. Die Staubwolken waren noch ein paar Meilen entfernt, daher verdeckten Bäume und Häuser sie.
Trotzdem würden die Reiter bei dem Tempo, das Kraftpferde zu gehen imstande waren, jeden Augenblick hier eintreffen.
»Reiter, und sie kommen schnell näher«, warnte er Baron Poll. Sein Herz schlug wie ein Hammer. Hätte er nicht in diesem Baum gestanden, er hätte sie niemals gesehen.
»Welche Farben?«
Er sah etwas Gelbes aufblitzen. »Die von Raj Ahten. Sie sind uns dicht auf den Fersen.«
Er sprang vom Baum herunter und landete hart genug, um sich die Knöchel zu verstauchen.
»Averan«, rief Baron Poll. »Hör auf zu pinkeln und komm sofort zurück!«
Er riß sein Schlachtroß herum, jagte es um die Ecke der Kate und begann zu toben und zu fluchen. Roland sprang auf sein Pferd, umkreiste die armselige Hütte gerade rechtzeitig, damit er noch mitbekam, wie Baron Poll einen verwitterten Abtritt hinter dem Haus umtrat.
»Das verdammte Mädchen ist abgehauen«, fluchte der
Baron. Steinzäune teilten das Land hinter der Kate von den dahinterliegenden Gärten und Höfen ab. Roland sah sich nervös um. Er sah keinerlei Spuren, weder von Averan noch von der grünen Frau.
»Weit können sie nicht sein«, meinte Roland. Er wußte jedoch, daß das keinen Unterschied machte. Selbst wenn das Mädchen sich ganz in der Nähe versteckte, hatten sie nicht die Zeit, nach ihm zu suchen.
»Gleichgültig!« rief Baron Poll. »Das Mädchen wollte hierbleiben, also laßt sie doch!«
Der Baron schwenkte sein Pferd herum, Roland dagegen folgte nur zögernd. Er hatte Angst, die grüne Frau und Averan alleine hier zurückzulassen. Er mochte sie mehr, als er sich eingestehen wollte.
Während Baron Poll davonjagte, suchte Roland nach dem Kind und hoffte vergeblich darauf, die grüne Frau irgendwo zu entdecken. Augenblicke später hörte er den donnernden Hufschlag von der anderen Seite des Ortes.
»Viel
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