Schattenherz
kochten Wasser in Messingtöpfen, über denen sie Reis in Bambuskörben dünsteten. Dazu wurden Currysoßen und andere würzige Zutaten gereicht. An manchen Ständen steckten Reihen von gegrillten Tauben auf langen Spießen und wurden mit Pflaumensoße gesüßt. An anderen gab es eingelegte Stareneier oder Artischocken in gewaltigen Fässern zu erstehen. Überall wurde Obst – Mandarinen, Orangen, Melonen, Feigen, kandierte Datteln und Stapel getrockneter Kokosnüsse – feilgeboten.
»Halt!« bat Borenson abermals. »Euer Herr befindet sich im Blauen Turm in Mystarria.«
Er beugte sich vor, wobei es ihn größte Mühe kostete, überhaupt nur wach zu bleiben, denn er hatte seit Tagen nicht geschlafen. Alles drehte sich, und vor seinen Augen sah er alptraumartige Visionen. Die Mattigkeit überfiel ihn wie ein Schmerz in den Knochen.
Der Unbesiegbare betrachtete ihn aus den Augenwinkeln.
»Der Blaue Turm wäre kein schlechter Ort, um zuzuschlagen.
Ich werde meinem Lord den Plan empfehlen.« Er musterte Borenson argwöhnisch, doch falls der irgendeine List ersonnen hatte, um seinen Häscher zu überwältigen, dann wäre dieser Markt der denkbar schlechteste Ort für einen Versuch. Schließlich fragte er: »Kann ich etwas für Euch tun?«
»Nein, nichts«, erwiderte Borenson. Es gab keinen Balsam, der den Schrecken und die Trauer über den Verlust seiner Übereigner lindern konnte. Der Unbesiegbare wäre nicht in der Lage, die Erinnerungen zu ersetzen, die Borenson verloren hatte oder die betäubende Erschöpfung zu verscheuchen, welche ihn nun ergriff. Statt dessen bettelte er nur um den wenigen Beistand, den er sich zu erhoffen wagte. »Aber ich fühle mich plötzlich so erschöpft und ausgehungert. Ich weiß nicht, ob ich die Augen noch lange offenhalten kann. Ich habe seit Tagen nicht geschlafen.«
»Es stimmt, was man sich erzählt«, sagte der Unbesiegbare.
»Ein Krieger ohne Gaben ist kein Krieger mehr.«
Ein Verkäufer hatte bemerkt, daß sie haltgemacht hatten, eilte herbei und bot dem Unbesiegbaren eine Kostprobe seines mit viel Pfeffer gewürzten, süßen Krokodils an. Augenblicke später folgten weitere Händler seinem Beispiel. Doch kein einziger bot Borenson etwas an, dem rothaarigen Krieger aus Mystarria. Das köstliche, warme Essen ließ Borensons Magen knurren.
Borenson richtete das Wort an seinen Häscher. »Können wir vielleicht etwas essen?«
»Ich dachte, Ihr hättet es eilig?« erwiderte der Unbesiegbare mürrisch und mit vollem Mund, während die Verkäufer sein Pferd umringten.
»Ich habe es eilig, aber Hunger habe ich auch«, antwortete Borenson.
»Was ist größer«, fragte der Unbesiegbare, »Eure Eile oder Euer Hunger? Ich habe bislang nicht angehalten, weil ich spürte, daß Ihr es eilig habt. Außerdem soll sich ein Mann nicht zum Sklaven seines Magens machen. Vielmehr sollte sich der Magen nach dem Mann richten. Das könntet ihr Nordlichter mit den dicken Bäuchen euch merken.«
Borenson war ein stämmiger Kerl und breit gebaut. Für fett hätte er sich nie gehalten. Andererseits war ihm auf seinem Ritt durch Deyazz kein einziger Mann begegnet, der es an Gewicht mit ihm aufnehmen konnte.
Er entschuldigte sich. »Ich will nur eine Kleinigkeit zu essen.
Wir brauchen uns nicht lange aufzuhalten.«
»Was zahlt Ihr mir, wenn ich Euch etwas zu essen gebe?«
wollte der Unbesiegbare wissen.
Borenson ließ den Blick über die Stände der Straßenhändler schweifen. Er war Gefangener und hatte keine große Wahl.
Hier im Süden verköstigten Lords ihre Gefangenen meistens nicht. Statt dessen erwartete man, daß Angehörige oder Freunde sich um Ernährung, Kleidung und ärztliche Betreuung der Gefangenen kümmerten.
Ihm als Gefangenem wäre es nicht einmal erlaubt, Speisen von einem der Verkäufer zu erstehen.
»Ich habe Gold in meinem Beutel«, erklärte Borenson und fragte sich, wie lange dieses wohl reichte, wenn er seinen Häscher für das Essen bezahlen mußte. Der Unbesiegbare würde einen hohen Preis verlangen, um sicherzustellen, daß Borensons zukünftige Gefängniswärter nichts davon abbekamen.
Sein Wächter lachte und sah sich amüsiert nach Borenson um. »Ihr seid in Ketten, mein Freund. Ich kann mir Euern Beutel nehmen, wann immer es mir gefällt. Nein, da müßt Ihr Euch schon eine bessere Bezahlung ausdenken.«
»Nennt Euren Preis«, erwiderte Borenson, zu müde, um zu streiten.
Der Unbesiegbare nickte. »Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen…«
Der
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