Schattenherz
der Sog ihrer
Bewegungen zum peitschenden, heulenden Sturm. Flüche drangen aus dem Wind hervor, haßerfüllte Rufe, Drohungen.
Der Glorreiche der Finsternis wollte ihn öffentlich bloßstellen.
Er flog tief über die unbefestigte Landstraße dahin, ganz so, wie eine Eule auf der Jagd nach Mäusen im Mondschein über eine winterliche Straße gleitet.
Der Luftzug entwurzelte Bäume, schleuderte gewaltige Felsbrocken umher. Eine halbe Meile weiter vorn flohen Soldaten und Pferde aus seiner Flugbahn, allerdings nicht schnell genug, nur selten schnell genug.
Blitze zuckten knisternd aus der Wolke, den Bolzen eines Wurfgeschützes gleich, zerschmetterten Soldaten, rissen Pferden die Eingeweide heraus.
Die nachmittägliche Luft war vom fauchenden Grollen des Donners erfüllt, in das sich die Todesschreie und das Krachen zersplitternder Bäume mischten.
Während sich das Unwetter auf der Straße austobte,
vermengte sich ein alles verdunkelnder, wirbelnder Staub mit dem Gemenge.
»Zu mir«, brüllte der dicke König Orwynne an Gaborns Seite. »Für Orwynne und Mystarria!«
Der alte Narr glaubt, mich zu beschützen! merkte Gaborn.
Ich habe meine Gaben verloren, und schon hält Orwynne mich für einen Gewöhnlichen.
Jetzt erkannte er, daß er die Geschwindigkeit des
Glorreichen der Finsternis unterschätzt hatte. Er mußte seine Leute drängen, sich schneller zu bewegen. Er ritt in der Vorhut seiner Armee, seine Ritter dagegen waren hinter ihm über Meilen versprengt.
»Versteckt Euch!« sandte er eine Warnung an seine
Erwählten Krieger. »Versteckt Euch! Wagt nicht zu kämpfen!«
König Theovald Orwynne jedoch ließ sich von seiner
Warnung nicht zurückhalten. Der dicke König senkte die Lanze, bis ihr Schaft in der Beuge seines Armes ruhte, sprengte auf seinem Pferd voran und attackierte das wirbelnde Knäuel aus Dunkelheit und Sturm. Sein ältester Sohn, Barnell, war gerade sechzehn, aber schon ein Krieger. Tapfer zog er seinen Kriegshammer und griff auf seines Vaters rechter Seite an, während König Orwynnes zuverlässigster Gardist, Sir Dreacon, zu seiner Linken vorwärts stürmte.
Einhundert Ritter ritten einen Angriff, um Orwynnes Attacke zu unterstützen. Einige schleuderten Speere in den Mahlstrom, während Bogenschützen einen Pfeil nach dem anderen in die Höhe jagten.
Die Bogenschützen erzielten keinerlei Wirkung. Speere und Pfeile, wild aus ihrer Bahn gerissen, veränderten inmitten der vom Glorreichen der Finsternis beherrschten magischen Winde ihre Richtung und wurden einen Augenblick später gegen die Angreifer zurückgeschleudert.
Einige Männer bemühten sich nach Kräften, ihren König zu beschützen, doch nur König Orwynne, sein Sohn Barnell und Sir Dreacon erwiesen sich als tapfer genug, dieses Dunkel anzugreifen.
Jemand hinter Gaborn rief: »Mein Lord – hier entlang!« Der Jemand kam herangaloppiert und ergriff die Zügel von Gaborns Pferd.
Gaborn war so todmatt – so durch den Verlust seiner Gaben und seinen Schlafmangel geschwächt –, daß er nicht
nachdenken konnte, was zu tun war. Er ließ sich blindlings führen. Ohne seine Gaben des Durchhaltevermögens fühlte er sich so kraftlos wie nie zuvor. Ohne seine Muskelkraft konnte er sich kaum aufrecht im Sattel halten. Ohne seine Gaben der Geisteskraft waren ihm die Namen der meisten entfallen, die er während der letzten Woche Erwählt hatte – Männer, deren Gesichter plötzlich vor seinen Augen aufblitzten, wenn er die Gefahr für sie spürte.
Er fühlte sich an Geist und Körper entkräftet.
Gaborns Days galoppierte an seiner Seite. Wie durch einen Schleier erkannte der Erdkönig jetzt den jungen Ritter wieder, der sein Pferd führte – Sir Langley, Orwynnes Kämpe.
Gaborn war froh, daß Orwynnes beste Männer klug genug waren, ihm nicht in den Tod zu folgen. Die Tiere flohen vor dem Sturm auf einen Erlenhain zu, deren weißlich-graue Stämme prächtig inmitten der herbstlichgoldenen Blätter in die Höhe ragten.
Er sah sich um. König Orwynne und seine Männer gaben das Letzte, ihre flinken Streitrösser wurden noch schneller, und die zu Zöpfen geflochtenen Mähnen der Tiere peitschten im Wind hin und her. Plötzlich keimte in Gaborn die Hoffnung auf, ihr Angriff könne Erfolg zeigen, auch wenn die Erdkräfte in seinem Innern ihm sagten, daß dies unmöglich sei.
Ein Blitz zuckte aus der dunklen Kugel hervor und teilte sich gabelförmig.
Eine Zinke schlug krachend in Sir Dreacon zur Linken von Orwynne ein,
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