Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
Vom Netzwerk:
sich an den Bergen und verhieß Regen.
    Die Wolkendecke strebte in nordöstliche Richtung, diese eine schwarze Wolke jedoch eilte von Süden herbei.
    Das ist keine Wolke, überlegte sie. Fast im selben
    Augenblick, als diese Erkenntnis sie traf, rief Gaborns Stimme sie ein weiteres Mal an: »Versteckt Euch! Es ist zu spät, zu fliehen! Versteckt Euch – alle!«
    Sie sprengten den Hügel hinauf, und Jureem schwenkte von der Straße ab und hielt auf den schützenden Herbstwald zu.
    Die Welpen in den Körben knurrten und kläfften wie Hunde, die ein Wildschwein wittern.
    Während die Pferde den Schutz der Bäume erreichten, deren Äste fast blattlos waren, griff Myrrima nach dem Beutel mit den Kräutern in der Tasche ihres Wams und merkte plötzlich, daß sie diese nicht, wie von Binnesman gebeten, verteilt hatte.
    Der Glorreiche der Finsternis würde mit seinem Angriff nicht bis zum Einbruch der Nacht warten, denn er brachte die Finsternis mit sich.
    Myrrima riß Jureem die Zügel aus der Hand, wendete ihr Pferd und galoppierte zurück nach Burg Sylvarresta.
KAPITEL 25
Der Junge mit dem Klumpfuß
    I ome saß in einem vergoldeten Sessel, den ihre Diener herbeigeschafft hatten, und befragte den klumpfüßigen Jungen. Er stand gesenkten Kopfes auf dem Pflaster des Burginnenhofes, sichtlich verlegen, weil man ihn gefunden und vor die Königin geschleppt hatte. Es war jedoch nicht so sehr seine Verlegenheit, die Iome Sorge bereitete. Er war ein kränkliches Geschöpf.
    Jemand hatte ihn kahlgeschoren, damit die anderen seine Schuppenflechte sahen und ihre Kinder von ihm fernhielten.
    Sein rechtes Bein war bis zur Unförmigkeit angeschwollen und so dick, daß er keine Hosen hätte tragen können. Daher war er mit nichts weiter als einem langen Hemd aus altem Sackleinen bekleidet, das aussah, als hätte es der ärmste Burgbewohner weggeworfen. Außerdem stank er.
    »Wie alt bist du?« fragte Iome freundlich. »Zehn«,
    antwortete der Junge. Dann, nach einer ganzen Weile, fügte er hinzu, »Euer… äh… Damenschaft.« Iome schmunzelte. Er hätte sie mit ›Euer Hoheit‹ oder ›Meine Dame‹ anreden können, hatte sich aber statt dessen seine eigene, seltsam ungeschliffene Formulierung ausgedacht.
    »Zehn Jahre?« fragte sie. »Hast du die ganze Zeit auf Burg Sylvarresta gelebt?« Er war ihr zuvor nie aufgefallen.
    »Nein«, antwortete der Junge zögernd, der kein einziges Mal wagte, den Kopf zu heben. »Ich bin aus Balliwick.« Das war ein Dorf an der Westgrenze Heredons.
    »Das ist weit entfernt – fast einhundert Meilen«, staunte Iome. »Bist du vielleicht Kärrnerlehrling? Wer hat dich hergebracht?«
    »Ich bin hergekommen, weil ich den Erdkönig sehen wollte«, antwortete der Kleine. »Ich bin zu Fuß gegangen. Mittwoch bin ich hier angekommen, aber da war er gerade auf Jagd…«
    Iome betrachtete das Bein des Jungen. Es war aufgequollen wie eine Melone, und sein Fuß in entsetzlichem Winkel nach innen gedreht. Kein Stiefel hätte darüber gepaßt, daher hatte er die Entstellung einfach umwickelt und war auf der Bandage gelaufen. Vermutlich hatte er sich das Bein als Säugling gebrochen, und es war auf diese Weise wieder zusammengewachsen. Trotzdem konnte sie sich nicht
    vorstellen, wie jemand mit einem solchen Bein den weiten Weg von Balliwick bis hier zu Fuß zurücklegen konnte. Er mußte es unter Schmerzen hinter sich hergezogen haben, einen quälenden Schritt nach dem anderen.
    »Der Erdkönig ist nicht mehr hier«, sagte Iome, »er ist nach Süden in den Krieg gezogen.«
    Der Junge hielt den Kopf hartnäckig gesenkt und kämpfte mit den Tränen. Sie fragte sich, was sie mit ihm anfangen sollte.
    Ich könnte ihn im Gasthaus unterbringen, bei den anderen Kranken, überlegte sie. Ihn hier, auf der Burg, zurückzulassen wäre jedoch gefährlich.
    Dieser Junge war einhundert Meilen weit zu Fuß gegangen, um ihren Gemahl zu sehen, doch Gaborn war zu Pferd nach Süden unterwegs, und ihr wurde klar, dieser Junge war so langsam, daß er den Erdkönig vermutlich nie einholen und es wahrscheinlich nicht schaffen würde, sich ihm zu präsentieren und seinen Segen zu erbitten.
    Voller Bitterkeit mußte sie an die reichen Kaufleute aus Lysle denken, die sich nicht einmal die Mühe gemacht hatten, ihr Feldlager zu verlassen, um ihren Gemahl zu sehen, während dieser Junge für eine Audienz vermutlich durch halb Heredon gekrochen wäre.
    Sie konnte ihn unmöglich zurücklassen. Aber mitnehmen konnte sie ihn auch nicht

Weitere Kostenlose Bücher