Schattenherz
eigentlich nicht möglich sein dürfen!«
»Was? Was meint Ihr damit?« fragte sie.
Doch er hielt sie bloß noch einen weiteren Augenblick fest und fügte hinzu: »Ihr seid ja naß. Ihr seid ganz naß, von Kopf bis Fuß!«
Sie lehnte sich an ihn, um sich zu stützen. Ihr kamen die Tränen. Über seine Schulter hinweg starrte sie auf den Glorreichen der Finsternis, auf den Steinhaufen, dort, wo der königliche Bergfried in sich zusammengestürzt war. An der Stelle befand sich jetzt ein riesiger Riß, eine Spalte, aus der das Geschöpf entkommen war.
Dort unten ist Iome, dämmerte Myrrima. Ich sollte ihre Leiche suchen gehen und für ein anständiges Begräbnis sorgen.
Doch noch während sich der Gedanke in ihrem Verstand festsetzte, gewahrte sie am Rand der Grube eine Bewegung.
Iome, vollkommen mit Staub bedeckt, schob ihren Kopf aus dem Trümmerhaufen hervor und sah sich neugierig um.
Hinter ihr kroch der klumpfüßige Junge ins Freie.
»Wir haben uns in Eurer Kammer versteckt«, erzählte Iome Binnesman. »Dort war die Erdkraft am stärksten, und der Glorreiche der Finsternis wagte sich nicht allzu dicht heran.
Als der Bergfried einstürzte, wurden der Junge und ich in einer Ecke unter ein paar Balken eingeschlossen.«
»Wir haben Glück gehabt«, sprudelte der klumpfüßige Junge hervor. In seiner Jacke aus golddurchwirktem Stoff wirkte er wie ein Hofnarr. »Die Königin hat Glück gehabt!«
»Nein, Glück war das nicht«, widersprach die Königin mit einem Kopfschütteln. »Ich spürte, wie Gaborn mich warnte und mir sagte, ich solle mich verstecken. Ich stieß uns in die Ecke, weil mir das sicher schien, und als das Dach einstürzte, hielten die Balken dort fest genug, um uns zu schützen.«
»Wenn Ihr ihn das nächste Mal seht, könnt Ihr Euch beim König dafür bedanken, daß er Euch das Leben gerettet hat«, schlug Binnesman ihr vor.
»Später dann«, fuhr Iome fort, »als der Glorreiche der Finsternis ausbrach, krochen wir einfach durch die Trümmer, bis wir uns befreit hatten. Ich habe mich erst getraut, nach oben zu klettern, nachdem ich Euch und Myrrima sprechen hörte und wußte, daß die Gefahr vorbei ist.«
Myrrima betrachtete den Trümmerhaufen, unter dem der Glorreiche der Finsternis unter der Erde eingeschlossen gewesen war. Es schien unmöglich, daß ein Mensch sich beim Einsturz in dem Gebäude aufgehalten hatte und mit dem Leben davongekommen war.
Binnesman ließ Myrrima los. Sie zitterte noch immer, wenn auch nicht so arg wie zuvor. Der Erdwächter trat näher an die Leiche des Glorreichen.
Jetzt züngelte kein gespenstisches Feuer mehr über seine Haut. Er sah lediglich aus wie ein ungeheuer großer und überaus kräftiger Mann, nackt, mit windzerzaustem Haar und Haut und Flügeln aus Elfenbein. Seine Augen jedoch glichen in keinster Weise denen eines Menschen. Statt dessen schienen sie aus einer Art milchiger Achate zu bestehen, die in seinem Schädel glühten. Zwischen seinen Zähnen waren grünliche Reißzähne zu erkennen.
Das Wesen hatte aufgehört, sich zu winden, und lag
vollkommen still.
»Ich begreife es noch immer nicht«, wunderte sich
Binnesman. »Ein ganz normaler Pfeil hätte diese Bestie eigentlich nicht durchbohren dürfen.«
Er zerrte einen Pfeil aus der Haut des Ungeheuers, jenen, der es an der Schulter verwundet hatte. Den untersuchte er nun eingehend. Er betrachtete die schmale Spitze aus kaltem Eisen, die in das obere Ende geklemmt und schwarz vom geronnenen Blut des Ungeheueres war. Betastete die weißen Gänsefedern im Federbusch des Pfeils.
Schließlich zog er eine Braue hoch und sah Myrrima an.
Seine Stimme war voller Argwohn. »Er ist feucht.«
»Ich bin in den Burggraben gestürzt«, erklärte Myrrima.
Binnesman lächelte, als hätte er eine bedeutende Entdeckung gemacht. »Natürlich. Luft ist ein Element der Unbeständigkeit.
Wasser dagegen wirkt ihrem instabilen Wesen entgegen. Wie die Erde, so ist auch das Wasser das Gegenstück zur Luft. Ein ausschließlich aus Erde hergestellter Pfeil könnte den Glorreichen der Finsternis nicht durchdringen, einer aus Erde und Wasser dagegen schon. Das könnte der Grund sein.
Außerdem habe ich ihn gerade zu der Zeit geschwächt.«
Für Myrrima klang das verdächtig danach, als versuchte der Zauberer, das Verdienst für die Tötung des Ungeheuers für sich zu beanspruchen, dabei war sie ziemlich sicher, daß sie es war, die ihm das Leben gerettet hatte.
Augenblicke später galoppierte Jureem,
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