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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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einem Kaninchen begnügen können«, neckte sie. »Etwas Kleineres möchte ich allerdings nicht. Feldmäuse haben mir noch nie so recht geschmeckt.«
    Borenson lächelte geheimnisvoll. »Komm endlich. Beeil dich.« Er ging zum Kleiderschrank und zog ein schlichtes blaues Kleid heraus. Myrrima ließ ihr Nachtkleid von den Schultern gleiten, streifte das Kleid über und ging daran, die Bänder ihres Mieders zu schnüren. Borenson beobachtete sie dabei mit unverhohlenem Vergnügen. Sie zog ein paar Schuhe über, und wenige Augenblicke später mußte er mit ansehen, wie sie die Stufen des Bergfrieds hinuntersprang, und hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten.
    »Die Jagd ist nicht sehr gut verlaufen«, berichtete Borenson, während er ihre Hand ergriff. »Wir mußten einige Verluste hinnehmen.«
    Das erstaunte sie. Noch immer streiften schwarzfellige Nomen und Frowth-Riesen durch die Wälder. Raj Ahten war vor über einer Woche nach Süden geflohen und hatte alle Truppenteile zurückgelassen, die zu erschöpft waren. Sie fragte sich, wie die Männer umgekommen waren. »Verluste?«
    Er nickte, nicht bereit, mehr darüber preiszugeben.
    Kurz darauf erreichten sie die kopfsteingepflasterte Straße.
    Die Morgenluft trug eine scharfe, beißende Kälte in sich, und Myrrimas Atem dampfte vor ihrem Gesicht. Borenson drängte sie hastig durch das Fallgatter der Königspforte und eilte mit ihr die Marktstraße zum Stadttor hinunter. Dort, gleich hinter der Zugbrücke, neben dem Burggraben, lief soeben eine große Menschenmenge zusammen.
    Auf den Feldern vor Burg Sylvarresta standen leuch—
    tendbunte Großzelte, die sich wie eine Stadt aus Segeltuch ausbreiteten. Vergangene Woche waren hier vierhunderttausend Bauern und Adelige aus Heredon und ferneren Königreichen eingetroffen, um den Erdkönig, Gaborn Val Orden, zu sehen. Die Felder verwandelten sich
    zunehmend in ein endloses Labyrinth, in einem solchen Maße, daß die Zelte bereits die nahen Hügel bedeckten und draußen auf den Ebenen nach Süden und Westen ganze Städte wie Pilze aus dem Boden schossen.
    Überall waren Kaufleute und Straßenhändler damit
    beschäftigt, Stände zu errichten, wodurch in dem Gedränge behelfsmäßige Märkte entstanden. Über der Menschenmenge hing der Duft gebratener Würste, und da es sich um einen Festtag handelte, spielten bereits Hunderte von fahrenden Sängern ihre Lauten und Harfen ein.
    Ein Stück weiter vorn sangen vier Bauernjungen so
    erbärmlich zu Flöte und Laute, daß Myrrima nicht recht wußte, ob sie es ernst meinten oder nur die jämmerlichen Bemühungen des jeweils anderen lächerlich machen wollten.
    Sie standen am Rand der Menschenmenge, auf die Borenson zuhielt.
    Er drängte einige Bauern zur Seite und scheuchte ein paar Mastiffs fort, damit Myrrima sehen konnte, was sich dort zwischen den Menschen befand.
    Der Anblick erfüllte sie mit Abscheu: Im Gras lag ein Klumpen grauen Fleisches, groß wie ein Karren – der augenlose Kopf eines Greifers. Seine Fühler hingen ihm wie totes Gewürm über die hintere Schädelseite, und die Reihen kristalliner Zähne sahen beängstigend aus, sobald die Morgensonne sie beschien. Das Ding starrte, nachdem man es viele Meilen weit geschleppt hatte, nur so von Dreck. Unter diesem Schmutz jedoch, quer über der Stirn, konnte sie die Runen erkennen, die man in das grauenerregende Fleisch des Ungeheuers gebrannt hatte – Runen der Macht, die selbst jetzt noch glommen wie ein trübes Licht. Jedes Kind in Rofehavan kannte die Bedeutung dieser Gesichtsrunen.
    Das war kein gewöhnlicher Greifer. Es war eine Magierin.
    Myrrimas Herz pochte unter ihren Rippen, als wollte es sich mit Gewalt einen Weg aus ihrem Brustkorb schlagen. Sie ertappte sich dabei, daß sie schwer atmete und ihr ein wenig schwindlig wurde. Plötzlich wurde ihr kalt, und sie ließ sich von der Hitze der fremden Leiber wärmen, während die Mastiffs nervös mit ihren Schwanzstummeln wedelten und am Kopf des Greifers schnupperten.
    »Eine Greifermagierin?« fragte sie teilnahmslos. Seit über sechzehnhundert Jahren hatte hier in Heredon niemand mehr eine solche getötet. Sie betrachtete den Kopf. Das Ungeheuer hätte ein Schlachtroß in Stücke beißen können. Oder einen Menschen.
    Bauern tuschelten. Kinder streckten zaghaft die Hände aus, um das gräßliche Wesen zu berühren.
    »Wir haben sie im Dunnwald gefangen, unten in ein paar alten duskinischen Ruinen, tief unter der Erde. Sie hatte ihre Gefährten und ihren

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