Schattenherz
seine blauen Augen lächelten. Er betrachtete seinen Gegner und schätzte dessen Stärke und Größe ab.
Ein Knappe in den Farben König Sylvarrestas eilte mit einem schweren Kriegshelm herbei, und Borenson stülpte ihn über.
Myrrimas Herz schlug wie ein Hammer. Sie hatte überhaupt nicht bemerkt, daß ihr Gemahl und der König so schnell von den alten duskinischen Ruinen zurückgekehrt waren. Noch mehr überraschte sie, daß ihr Gemahl sich hier auf einen Kampf vorbereitete, ohne ihr ein einziges Wort darüber mitzuteilen.
Ritter mit Lanzen liefen aufs Feld. Das waren keine in leuchtenden Farben bemalten, bunten Waffen aus ausgehöhltem Holz. Das waren massive Kriegslanzen aus poliertem Eschenholz, die von Eisenringen zusammengehalten wurden und mit Stahlspitzen versehen waren. Letztere hatte man mit Pech eingestrichen, damit sie beim Aufprall nicht vom Schild oder der Rüstung eines Mannes abglitten, sondern sich statt dessen hineinbohrten. Jede Lanze wog sicherlich weit über einhundertfünfzig Pfund, und zum Ende hin verbreiterten sich die Lanzen auf einen Durchmesser von acht Zoll. War ein Mann erst einmal aufgespießt, riß die Lanze sein Fleisch und seine Knochen auseinander wie ein Keil und erzeugte damit eine klaffende Wunde, von der sich niemand, nicht einmal mit Gaben des Durchhaltevermögens, je wieder erholte. Es waren mörderische Waffen. Der Hauptmarschall führte eine schwarze, deren Farbe für Rache stand. Borenson nahm eine rote, in der Farbe unschuldigen Blutes.
Festgebunden an ihrem Griff befand sich Myrrimas roter Seidenschal.
Die Musikanten fielen vor dem Angriff in eine lärmende Melodie ein.
»Ich muß fort von hier«, meinte Myrrima, der sich der Magen umdrehte. Verzweifelt blickte sie sich um und suchte nach einem Weg, der von der Anhöhe herunterführte. Das steile Gelände war mit großen Felsen übersät, zwischen denen junge Eichen hervorsprossen.
»Wohin?« wollte Schwester Connal wissen.
Stöhnend deutete Myrrima hinunter. »Dort unten, das ist mein Gemahl!«
Es tat gut, den erstaunten Ausdruck in Schwester Connals Gesicht zu sehen. Myrrima hatte die Frau bereits für einen Menschen gehalten, den nichts erschüttern konnte, und all die Erregung, der Schreck und das Entsetzen, das sie an diesem Tag bereits erleiden mußte, hatte Myrrima geschwächt und gab ihr das Gefühl, vergleichsweise flatterhaft zu sein. Sie wandte sich ab und lief, so schnell sie konnte, den Hang hinunter. Als sie den Fuß des Hügels erreicht hatte und die Straße in die Durkin-Berge überquerte, hatte sich um das Turniergelände eine dichte Menschenmenge angesammelt.
Sie versuchte, sich gewaltsam einen Weg durch das
Gedränge zu bahnen, was ihr erst gelang, als sie plötzlich Schwester Connal neben sich sah, die »Aus dem Weg!« brüllte und Menschen zur Seite stieß.
Myrrima sah hoch und wollte sich bedanken. Schwester Connal entschuldigte sich für ihre Bemerkung von vorhin, indem sie schlicht erklärte: »Ich wußte nicht, daß er Euer Gemahl ist.«
Nachdem sie sich endlich durch die Menge weit genug nach vorn gekämpft hatten, um gut sehen zu können, griffen die Pferde bereits an.
Das war kein Turnierwettkampf für junge Burschen,
fünfundzwanzig Gänge mit der Lanze, in denen der Verlierer keinen größeren Schaden erlitt als geprellte Rippen.
Das Geschrei der Menschenmenge war ohrenbetäubend,
wild. Myrrima blickte in die Gesichter der Umstehenden, sah ihre Anspannung, ihren Übermut. Sie hofften auf Blut.
Beide Kämpfer wählten eigenartige Körperhaltungen. Sir Borenson stellte sich in den Steigbügel und lehnte sich weit nach rechts hinaus, wie es nur ein Krieger mit vielen Gaben der Muskelkraft vermochte. Des weiteren hielt er seine Lanze nicht in eingelegter Stellung, sondern hoch über den Kopf, so mühelos, als sei sie ein Speer.
Der Hauptmarschall dagegen lehnte sich auf seinem
schwarzen Streitroß weit nach vorn, um auf diese Weise mit seinem massigen Körper ein kleineres Ziel zu bieten.
Als er Borensons Körperhaltung sah, stemmte er seine Lanze mit unbändiger Kraft seitlich von sich, zu einer Stellung, die Myrrima noch bei keinem Kämpfer gesehen hatte. Zudem entschied er sich, keinen Schild in seiner freien Hand zu führen. Statt dessen führte er ein kurzes Schwert.
Alles deutete darauf hin, daß Borenson die Absicht hegte, von oben in das Visier des Hauptmarschalls einzustechen, wohingegen dieser vielleicht hoffte, Borensons Achselhöhle zu durchstoßen, wo das
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